Studienrat und Heimatforscher
Geb. 1861 - Gest. 1931
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Wenn man sich mit der Geschichte der eigenen Heimat beschäftigt stößt man bei der Recherche immer wieder auf die Werke einiger weniger Menschen, die sich intensiv mit dieser Materie beschäftigt und, ganz wichtig, ihre Erkenntnisse der Nachwelt schriftlich hinterlassen haben. Neben den Erlern Heinrich Lammersmann und Fritz Sagemüller vor dem 2. Weltkrieg, Ingrid Sönnert  in der Gegenwart war das in unserer Gegend vor allem auch Prof. Dr. Albert Weskamp.

Er war Oberlehrer und später auch stellvertretender Rektor des Gymnasiums Petrinum zu Dorsten.

Unter seinen vielen Werken über die Städte des Münsterlandes hat er auch ein Buch über unser kleines Heidedörfchen geschrieben, auf das sich viele andere, spätere Heimatforscher berufen: Die Geschichte des Dorfes Erle und seiner Eiche. Und das muss zu seiner Zeit sehr bekannt gewesen sein, denn in vielen Texten, Aufsätzen und anderen Büchern wird immer wieder Bezug auf dieses Werk genommen. Lange Zeit habe ich Bibliotheken, Sammlungen und Antiquariate danach abgesucht, aber ich konnte kein Exemplar dieses fast 120 Jahre alten Buches bekommen. Dann der Zufall: Die digitale Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Münster hat genau dieses Buch in seiner Sammlung aufgenommen.  
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Ich habe das in der deutschen Frakturschrift gedruckte Werk in unser lateinisches Alphabet  übersetzt und stelle es hier der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung.

Beim Lesen dieses großartig, detailreich und fesselnd geschriebenen Buches muss man stets daran denken, zu welchem Zeitpunkt Albert Weskamp  dieses tat.  Nämlich in den 70-80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Genau diese Zeit meinte er, wenn er von "heute" schrieb. Nun sind schon fast 120 Jahre seit dem Vergangen und einige Dingen von damals haben sich, wie wir alle wissen, zum größten Teil überlebt und geändert. 
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Ich habe den in Frakturschrift vorliegenden Text 1:1 in unsere heutige Schrift übertragen. Die Fußnoten habe ich, der besseren Übersicht halber, direkt unter die entsprechenden Absätze gestellt. Beim Lesen werden sicherlich manche Leute über Rechtschreibung und Grammatik stolpern. Bitte dabei bedenken, das damals in einigen Bereichen dieses anders gehandhabt wurde als heute und das es seit dem mehrere Rechtschreibreformen gegeben hat.
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Das gilt besonders für die Passagen, die Albert Weskamp aus viel älteren Dokumenten zitiert. Im 17. Jahrhundert z.B. haben die Schreiber anscheinend die Wörter so aufgeschrieben, wie sie gesprochen wurden, quasi eine Lautschrift. Und es kommt durchaus vor, das für ein und denselben Begriff auch innerhalb eines Satzes mehrere verschiedene Schreibweisen gewählt wurden. Man muss bei manchen Sachen schon etwas "um die Ecke" denken, damit einem der Sinn des gelesenen auch klar wird. Aber eigentlich macht das sogar Spaß und ist mitunter auch ganz lustig.
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Ich wünsche viel Vergnügen mit diesem seltenen Text.
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Geschichte
des Dorfes Erle
und seiner Eiche



von Dr. Weskamp, Oberlehrer
ca. 1895
Münster i. Westf.
Druck der Westfälischen Vereinsdruckerei
vormals Coppenrath'schen BuchdruckereiI. Die Erler Eiche.  –  Die Gründung der Pfarre.  –  Der Freistuhl zu Erle.




I. Die Erler Eiche.  –  Die Gründung der Pfarre.  –  Der Freistuhl zu Erle.
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Als ein ehrwürdiger Zeuge längst entschwundener Zeiten erhebt sich vor dem Pfarrhause des Dorfes Erle, welches inmitten von Heideland und Kiefernwaldungen an der Landstraße von Dorsten nach Borken gelegen ist, der gewaltige Stumpf einer uralten Eiche. 1)
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1) Es ist eine Stieleiche, die auf frischem, sandigem Diluvial-Lehmboden steht. (Mitteilung des Oberförsters Joly zu Natteforth.)
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Ihr Stamm besteht nur noch aus einem 15 bis 20cm dicken, oben offenen und mit mehreren Astlöchern und Spalten versehenen Mantel; der Hohlraum hat einen Durchmesser von 2¾ m und ist so groß, daß vor kurzem der aus fünfzig Schülern bestehende Gesangschor des Gymnasiums zu Dorsten in demselben Platz finden konnte. Gebeugt von der Fülle der Jahre neigt der greise Recke sein Haupt stark nach Südwesten, und nur drei mächtige Krücken hat er es zu danken, daß er trotz Wind und Wetter sich noch aufrecht zu erhalten vermochte. Auf wie lange noch? Seit dem Jahre 1892, wo die Stützbalken tiefer in die Erde eindrangen, so daß eine fast meterhohe Spalte auf der Neigungsseite fast ganz in der Erde verschwand, beträgt der Neigungswinkel nur noch 60 Grad. Gar zersetzt ist sein Mantel; auf der Neigungsseite, welche lange Spalten und Risse zeigt, ist die schützende Rinde ganz abgestorben, und von Norden her führt eine über 2m hohe und 80cm breite türartige Öffnung in das Innere des Baumes. Am Boden hat der Stamm einen Umfang von 14m, in Manneshöhe mißt er noch 12½ m; seine Höhe beträgt etwa 10, die Höhe bis zur Spitze des Laubdaches 15m. Der obere Teil des Schaftes und die ursprüngliche Krone sind durch die Stürme der Jahrhunderte abgebrochen, und auch dies ersten Äste, die in einer Höhe von etwa 3m ansetzten, sind nur noch im Stumpfe vorhanden; aus diesen treiben jedoch noch zahlreiche, lebenskräftige Zweige und Schößlinge, welche sich im Sommer mit üppigen Blätterschmucke umkleiden, so daß die neue Krone verhältnismäßig stark entwickelt ist und einen Umfang von 55m hat. 2)
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2) Nach Messungen des Oberförsters Joly.
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Bekanntlich zweigt der Querschnitt der Eichbäume Jahresringe, und nachdem man durch zahlreiche Messungen die Durchschnittsbreite dieser Ringe festgestellt hat, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Umfange der Bäume ihr Alter bestimmen. So hat man berechnet, daß eine Eiche, deren Stamm dort, wo er am wenigsten dick ist, einen Umfang von 11m hat, ungefähr 1000 Jahre alt ist, und bei der Erler Eiche muß man auf Grund dieser Berechnung ein Alter von etwa 1200 Jahren zuschreiben. Nur eine Eiche gibt es in Deutschland, die unseren Baum an Alter und Umfang übertrifft, da sie einen Umfang von 1287cm hat; sie steht in Mecklenburg im Tiergarten des gräflichen Gutes Ivenack und erfreut sich noch heute einer Höhe von 38m sowie einer herrlichen Krone. 3)
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3) Dr. Czech-Ratibor, Deutschlands älteste Eichen (Kölsche Volkszeitung, 1900 Nr. 201). – Vgl. Rade, Verzeichnis der hervorragendsten Bäume in Westfalen und Lippe (12. Jahresbericht des Westfälischen Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst, Seite 152ff.); die Erler Eiche wird dort nur flüchtig erwähnt.
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Schon der Name des Baumes führt zu der Annahme, daß er noch die Zeiten des Heidentums gesehen hat; er wird (wenigstens heute) nach dem Vogel, der dem heidnischen Obergotte Wodan heilig war, die Ravenseiche genannt. Auch deuten Namen der nächsten Umgebung darauf hin, daß sich hier ehedem eine heidnische Opferstätte befunden hat; so scheint in der Bezeichnung „Hassenkamp“ das Wort „Asen“ (Götter) durchzuklingen. Es demnach auch von unserer Eiche das Wort unseres heimischen Dichters (Weber „Dreizehnlinden“):
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    Hehr und breit wie Tempelhallen
    Wölbt sich das Astgeschlinge;
    Altgeweiht, von Frevlerhänden
    Nie verletzt mit Beil und Klinge.
    Denn nach Sag‘ und Väterglauben
    War sie einst Gottes Eigen,
    Der da rauscht im dunklen Wipfel,
    Der da webt in Stamm und Zweigen.
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Bei Einführung des Christentums blieb der Ort eine Stätte der Gottesverehrung; es wurde hier eine dem hl. Papste Silvester gewidmete Kirche errichtet, die im 13. Jahrhundert unter Abzweigung von der Gemeinde Raesfeld, einer Filiale von Borken, Pfarrrechte erhielt, und der Hof, auf dessen Grund sich die alte Eiche erhob, wurde Eigentum des Pfarrers, wurde die sogenannte Wehme. Als Pfarrort wird Erle (Herlere) zuerst in einem Register des Jahres 1313 genannt, in welchem die Einkünfte der kirchlichen Beneficien des Bistums Münster abgeschätzt werden. Wenn nun auch diesem Register ein älteres Verzeichnis zu Grunde liegt und Erlere auch schon in einer dem 13. Jahrhundert angehörenden Urkunde unter den die Hansegrafschaft der Stadt Borken bildenden Parochien genannt wird, so läßt doch die geringe Taxe von nur einer Mark, zu welcher Erle in jenem Register abgeschätzt wird, annehmen, daß die Gründung der Pfarre nicht vor das 13. Jahrhundert fällt. Als Tochterkirche von Raesfeld wird Erle in einem Visitationsprotokoll von 1613 ausdrücklich bezeichnet. Auch wurden noch 1427 die Schatzungen für „Erlar und Raesfeld“ gemeinsam eingereicht, und ebenso mußten noch in späteren Zeiten bei den Synoden die Pfarrer von Erle ihre Kirchenbücher zu Raesfeld dem Archidiakon vorlegen. 4)
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4) Niesert I. 526. – Revisions-Vermerke in den Kirchenbüchern. – Tibus Gründungsgeschichte S. 1064 f.
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Auch in anderer Hinsicht blieb die Stätte von Bedeutung. Wenn es galt, das Recht der Selbsthilfe auszuüben, so scharrten sich die Gaugenossen unter dem altehrwürdigen Baume, denn hier befand sich eine Dingstätte jenes heimlichen Gerichtes, als dessen Begründer der große Kaiser Karl und der heilige Papst Leo angesehen und verehrt wurden. Der Freistuhl zu Erle gehörte zur Freigrafschaft der unweit Borken ansässigen Herren von Heiden. „Dat Halsgericht, so dießen frien Stoel tho steid, is gelegen vor Dorsten neven den Gerichte der van Ossendorpe an der Landwehr op Münsterscher Erden.“ Ursprünglich war die Freigrafschaft Heiden ein Lehen der Grafen von Cleve, die auch bis in die neuere Zeit hinein in dem Gebiete von Schermbeck und Wulfen bis nach Ramsdorf und Velen hin eine große Zahl von Freigütern besaßen. 1335 versetzte Menzo von Heiden die Freigrafschaft und der Gerichtsstühle zu Alt-Schermbeck, Erle (Erler), Raesfeld, Wulfen und Hervest auf sechs Jahre an den Grafen Dietrich von Cleve, 1364 übertrug Wenemar von Heiden den Freistuhl zu Erle („Die Freibank bei der Kirche zu Erler“) dem Grafen Johann von Kleve. Im Jahre 1374 ging der südliche Teil der Freigrafschaft mit den Kirchspielen Lembeck, Schermbeck, Raesfeld, Erle, Wulfen und Hervest dauernd an die Familie von Raesfeld über, während der nördliche Teil den Herren von Heiden verblieb. Wahrscheinlich bedienten sich dann die Heiden und die Raesfeld eines und desselben Freigrafen, der die gemeinsame Bezeichnung „der von Heiden“ führte. 1543 urkundet Wessel ten Slaede, Freigraf des Johann von Raesfeld zu Raesfeld, über einen vor seinem Freistuhle getätigten Verkauf des im Kirchspiel Erle gelegenen Erbes „die Huerue“ an Hermann ther Hueren. So nannte sich auch Bernt de Ducker bei einem Freigerichte, das im Jahre 1441 zu Erle abgehalten wurde, „vrygreve der vrygravscapp van Heiden“. Der Freistuhl führte damals nach dem an den Pfarrhof anstoßendem Hofe Askamp die Bezeichnung „der Vryenstoel ten Hassenkampe by Erler“. 5)
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5) Tibus, Gründungsgeschichte S. 310 f.; Fahne, von Hövel S. 77 (s. v. Heiden); Die Beme S. 11 f.; Urkunde von 1543 im Besitze des Lehrers Lammersmann in Erle.
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Bemerkenswert ist der Urteilsspruch, der hier unter Teilnahme von etwa hundert schildbürtigen Männern und Freien, von denen hier Hugo van Osterwyk „freigreve in dem veste von Rekelinchusen“ sowie Wenemar von Heiden und Johan von Rasvelde genannt sein, im genannten Jahr 1441 gefällt wurde. Nach dem Rechte des heiligen Reiches und der heimlichen Acht wurden damals Gerhard von Diepenbrock und zwei seiner Knechte vervemt, weil sie vier gegen des Frevlers Bruder Evert von Diepenbrock ausgesandte Freischöffen ergriffen und mißhandelt und zwei derselben ermordet hatten; allen Freischöffen wurde es unter Königsbann zur Pflicht gemacht, bei erster Gelegenheit die Geächteten zu ergreifen und an den nächsten Baum aufzuknüpfen „als der heymelyken achte recht ys.“ 6)
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6) Niesert, Urkunden-Sammlung Bd. I, Abt. II, S. 96.
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Die Freigerichte fielen der erstarkenden landesfürstlichen Gewalt zum Opfer, auch der Stuhl zu Erle; aber die Eiche grünt fort bis in unsere Tage. Wie so manches Rätsel der Vergangenheit würde der Baum, wenn er reden könnte, zu lösen imstande sein! Steht das Rittergeschlecht von Erler (Herlon, Erlo, Erler), das von 1201 bis 1285 urkundlich auftritt, 7) wirklich in Beziehung zu unserem Erle, 8) und ist ein Ahnherr dieses Geschlechtes als Gründer der Kirche dieses Dorfes anzusehen? Und wie ist das Patronatsrecht über die Kirche zu Erle an die Herren von Wylich zu Diersfort gekommen, von denen es 1569 an die jüngere Linie dieser Familie überging, die sich nach dem bei Xanten gelegenen Gute Winnendall nannte? 1571 wird „Wilich Hoiffmeister“ als Patron genannt, 1622 führte der klevische Landdroste Adolf Hermann von Wylich zu Winnendall den neuen Pfarrer zu Erle ein, und in Urkunden von 1623, 1626 und 1632 nannte sich des letzteren Witwe Katharina geborene Pallandt „Erbholzrichtersche der Erler Marken und Collatrix der Kirche daselbst.“ Das Patronatsrecht war also ein Annexum des Erbholzrichteramtes der Erler Mark, und dieses wird an die Herren von Wylich gekommen sein, weil dieselben Drosten und Erbhofmeister der Grafen von Cleve waren, der ursprünglichen Lehnsherren der Freigrafschaft Heiden, also auch des Stuhles zu Erle. 9) Die Besitzer von Lembeck besaßen schon 1643 das Patronatsrecht zu Erle, das sie bis auf den heutigen Tag ausüben. So ist in der Erler Kirchenrechnung von 1644 die Rede davon, daß die beiden neuen Kirchenmeister eingesetzt seien „ihn nhamen unsers Synodi heren zu lembeck, weilen ehr nun auch zu dieser Zeit unser Erbholtrichter indt der Kirchen zu Erlle collator undt also oberkirchmeister geworden is.“ 10)
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7) Tibus, Gründungsgeschichte S. 1065 – Nach Tibus, Namenskunde S. 93, ist Herlon wohl gleich Horlon (so in Urkunde von 1017, Erhard Cod. Nr. 92), welches soviel wie „sumpfiger Wald“ bedeuten würde.
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8) Nach Lindner, die Beme S. 23, ist das 1344 genannten „locus vrigraviatus prope domos sive casas dictas Erle“ wohl identisch mit dem Freistuhl „in villa Greven“. – Vgl. auch Zeitschrift f. v. G. u. A. V 24: Gottfried de Erle ist 1338 Zeuge der Schenkung eines Hauses in Greven an der Domkirche zu Osnabrück.
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9) Vgl. Tibus, Gründungsgeschichte S. 1065; Fahne, von Hövel S. 222 f.; Urkunden von 1623, 1626 und 1632 in Erle.
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10) An Nachrichten über Erle über älterer Zeit ist noch eine Angabe des Lehnsregister des Grafen von Solmisse zu Ottenstein aus dem 14. Jahrhundert über Abgaben von dem im Kirchspiel gelegenen großen und kleinen Hach zu erwähnen. (Vgl. Tibus S. 1066.)

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Nach örtlicher Überlieferung 11) soll der Hof zu Erle zwischen der Pastorat und dem Hofe Tellmann in der Paßweide gelegen haben, wo noch heute ein dem Wirte Böckenhoff genannt Bente gehörendes Grundstück der Schultenhof heißt und man auch die alte Sohlstätte aufgefunden haben will. Das nach dem Dorfe Heiden zu gelegenen Wall, ehemals Werl geheißen, dessen Grenzen 1786 neu festgesetzt wurden, war in der Erler Mark nicht berechtigt, es gehörte damals noch den Freiherren von Wylich zu Diersfort, von denen es die Familie Schäper seit Jahrhunderten in Pacht hatte. (1605: „Johan Olthuß, sunsten genannt de Scheipffer auff werlle“, 1614: „Jan Oldthoeff sunst genandt Jan Scheffer aufs Werll“). Zu Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte der Hof Schäper aufm Werl („das kleine Werl“) der Frau Baeßen geborene Wydenbruck zu Borken; 1811 verkaufte diese den eigentlichen Hof an die aufsitzende Familie, während sie ihr die zugehörigen Grundstücke und Gerechtigkeiten, wozu auch die Schaftrift auf dem großen Werl gehörte, aufs neue in Erbpacht gab. Der heutige Besitzer heißt Brömmel. 12)
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11) Brunn, Urk.-Sammlung S. 41 (Manuskript in Wulfen).
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12) Urkunden, seit 1605 auf dem Hofe Schäper upn Wall.
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Auf eine Urkundliche Mitteilung scheint die Nachricht 13) zurückzuführen zu sein, daß schon 1488 der klevische Anteil der Gemeinde Erle durch Vereinbarung zwischen dem Drosten Johann von der Horst zu Schermbeck und Johann von Lembeck an die Gerichtsbarkeit des Hauses Lembeck gekommen sei; letzterer habe sich verpflichtet, daß er die Gerichte zu Altschermbeck, Erle und Raesfeld wie in alter Zeit halten und die die klevischen Güter und Untertanen wie die eigenen schützen werde, wofür jeder Bauer ein Malter Hafer und 2 Hühner, jeder Kötter ½ Malter und 1 Huhn geben und jeder Eingesessene verpflichtet sein solle, auf den Glockenschlag zum Lembeckischen Waffengerichte zu erscheinen. 14)
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13) Erler Schulchronik.
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14) Schon in der Steinzeit hatte die Gegend um Erle Bewohner; eine steinerne Streitaxt fand sich auf dem an der Straße nach Raesfeld gelegenen Thierskamp, eine andere auf dem zwischen Erle und Wesel gelegenen sumpfigen „Loar“, und auch zwischen Rhade und Lembeck sind von Dr. med. Conrads=Borken Steinwaffen (Steinhämmer, Pfeilspitzen u. dgl.) gefunden worden. – Auch die von Dr. Conrads in der Heide zwischen Rhade und Erle aufgedeckten (6 bis 8) Hügelgräber gehören zum Teile wenigstens dieser Zeitperiode an, während andere den Uebergang vom Hügelgrab zum Urnenfriedhof bilden; in mehreren dieser Hügel fanden sich keine Scherben, wohl aber ein noch unberührter Knochenherd. Ob die drei Hügel, welche rechts an der Landstraße nach Borken auf dem Heidegrundstück des Hofes Schäper upn Wall sich erheben, Hügelgräber sind oder zu einem daneben befindlichen Urnenfriedhof gehörigen Verbrennungshügel, muß noch festgestellt werden, ebenso welcher Zeit das bei dem Hofe Böckenhoff gelegene Urnenfeld Hilgenberg angehört; mehrere dort ausgegrabenen Urnen sind im Besitze des Museums zu Dorsten. Auch in Westrich sind vor kurzem durch Oberlehrer Schultz=Dorsten aus einem in der Nähe des Hofes Krampe gelegenen Wall drei leicht gebrannte Urnen ausgegraben worden, zugleich auch Reste von Eisenwaffen (ein Sax, mehrere Speerspitzen und ein Schildbuckel). Unweit des Hilgenberges liegt der sagenhafte „Teufelsstein“, der nach Lehrer Lammersmann=Erle zum Opfern diente, nach Dr. Conrads aber wohl der Rest eines Steingrabes ist; in der Nähe aufgefundener Steinschlag zeigt, daß hier Granitblöcke zerschlagen sind. – Zwischen Erle und Raesfeld finden sich auf Reste einer alten Landwehr; sie stammt vielleicht aus jener Zeit, in der die Römer von Xanten aus ihre Eroberungszüge nach Deutschland unternahmen. Nach der „Schulchronik“ hat hier Professor Hosius ein Römerlager festgestellt; der Hauptwall sei 1½ m hoch und in Hufeisenform angelegt, die weiteste Entfernung der beiden Wälle betrage 800-1000m, im Inneren seien, etwa 10m vom Hauptwalle entfernt, mehrere gleiche viereckige Erhöhungen aufgeworfen. Auch aus diesen Wällen sollen vormals Waffen ausgegraben sein.
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II. Erle im Reformationszeitalter.  –  Die Wiederherstellung geordneter Zustände durch Pfarrer Michael Spannier (1622 – 1659).
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Erst im dem 16. Jahrhundert lichtet sich das Dunkel, das die Geschichte des Dorfes Erle umhüllt, infolge der Aufzeichnungen des Pfarrers Spannier, der von 1622 ab fast vierzig Jahre hindurch als eifriger Seelsorger in der Gemeinde gewirkt und seine Pfarrkinder  zum katholischen Glauben zurückgeführt hat, nachdem seine sechs Vorgänger sich mehr oder weniger der Reformation geneigt gezeigt hatten. Wie auf Altschermbeck, so haben ohne Zweifel auch auf Erle die Verhältnisse im angrenzenden klevischen Gebiete eingewirkt, wo die neue Glaubensrichtung allgemein Eingang gefunden hatte. Der letzte katholische Pfarrer vor Spannier war Jakob Brabander gewesen, der im Jahre 1533 starb. 15) Als ein rücksichtsloser Reformator war insbesondere Philipp Raesfeld aufgetreten, „ein verbitterder Calvinist“, durch welchen um 1570 in der Kirche, die schon zehn Jahre zuvor durch eine Feuersbrunst schwer heimgesucht war, die vorhandenen drei Altäre zerstört und alle vorhandenen Bildnisse der Heiligen „zu Aschen verbrant“ wurden. Als 1571 der münstersche Bischof Johannes von Hoya durch seine Bevollmächtigten die einzelnen Pfarreien seiner Diözese visitieren ließ, fanden diese in der Kirche zu Erle keine Bücher außer einigen lutherischen Gesangbüchern; das Tabernakel (saerarium) war leer, der Taufbrunnen voll Fliegen und Spinnen, die Statuen waren hinweggeräumt, die Gemälde überweißt. 16) Über Raesfeld heißt es weiter in einer archivalischen Notiz: „ Dieser hielt sich also in Erle, daß er wurde nach Bevergern geholt, und danach wurde ihm das Land verwiesen.“ Spanniers unmittelbarer Vorgänger war Konrad Storrich gewesen, ein früherer Mönch; er stand 33 Jahre der Pfarre von Erle vor und zwar anfangs als ein Anhänger Luthers, dann Kalvins. Er hinterließ 17) in der Kirche „nihil praeter parietes dealbatas, imagines autem depictae deletae et altare profanatum“. (Nichts als frisch geweißte Wände, zerstörte Bilder und den entweihnten Altar“.)
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15) In der Kirchenrechnung von 1644 berichtet Spannier: „Nach dem Brabander ist einer gekommen Joannes Berndardi oder Hardenberrich geheißen; hie qui simicatholicus abiit anno 1555. Post illum venit quidam vicarius Durstensis, qui anno 59 ex Erlle propter religionem discessit. Post hune venit quidam pessimus Calvinista dictus Phillipus Raßfelt. Dieser haet de kirche zu Erlle met allen altaren, als summum, beati Siluestri, altare beatae Mariae virginis abgebrochen unt met hilligen Belderen zur Aschen verbrant, wordt darnach auff Bevergenn gefen(g)lich geforet unt also aus dem lande verbannet. Nach diesem quam einer wedder von Dorsten, Herr Jacob Funke geheißen, welger alleine 3 oder 4 ihare in Erle gewesen indt nach verlauffenen ishare in wedder nacher Dorsten gezogen. Danach quam ein verlauffener Monich, Conradus Storrich geheißen, von Ranstrup geboren, welger in Erlle als Pastor gestanden dan Luthers, dan Calvins drei int dreizich ihare; anno 1590 venit in Erle, anno 1623 obiit in Scherenbeck. Huic ego successi; sed acceptavi pastoratum anno 1622. 8. Oktober.“
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16) Tibus, Kirchl. Zustände im Bistum Münster 1535 – 1574.
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17) Niesert, U.=S. ad. a. 1592.
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So hatte Spannier anfangs mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen; er selbst schreibt darüber: „Was mihr darzumall von minen in Godt rowenden Heren bevalen int was ick immitels minen gestandenen iharen von denen von Erlle indt anderen ungenannten mossen liden, weis Godt indt ich.“
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Aber durch seine Ausdauer kam er schließlich doch zum Ziele. Schon 1631 war  -  wie wenigstens eine in dem steinernen Rahmen der ehemaligen Chortür eingemeißelte Zahl vermuten läßt - der Ausbau der Kirche zum Abschluß gebracht, und die seit dem Jahre 1644 erhaltenen Kirchenrechnungen berichten über die Anschaffung zahlreicher Paramente und würdigen Kirchenschmuckes. Schade, daß nicht auch die Rechnungen über die beiden vorausgehenden Jahrzehnte erhalten sind, sie würden ein allseitiges Bild von der Tätigkeit dieses seeleneifrigen Priesters ermöglichen.
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Die alte Kirche war ein einschiffiges Langhaus, im gotischen Stile aus Ziegelsteinen ausgeführt, von einem Kreuzgewölbe mit Gurten überspannt. Die Länge der Kirche betrug 55, die Breite 22, die Höhe 24 Fuß. Das Chor, das um einige Zoll erhöht war, trat äußerlich nicht hervor, sondern hatte mit dem Schiff der Kirche ein Dach von gleicher Höhe. Auch der im Westen gelegene Turm war in allen seinen Geschossen gleichmäßig aus Ziegelsteinen aufgebaut, nur der etwas hervortretende Sockel bestand aus Bruchsteinen; eine Spitze hatte derselbe nicht, sondern eine nach allen Seiten sich neigende Dachform. Die Kirche hatte drei Eingänge, einen im Turm, die beiden anderen am Schiff und am Chor der Südseite; die Türen waren mit eisernen Nägel beschlagen. An der Torseite befand sich die Sakristei, nach Süden hin wurde 1663 ein Beinhaus angebaut.
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Pastor Spannier ließ das Dach der Kirche und ihres Turms zum großen Teile neu mit Ziegeln decken. Auch ließ er den Boden des Gotteshauses um 1½ Fuß erhöhen und mit Baumberger Steinen belegen, das Gewölbe der Kirche durch Meister Johann bemalen. Von welch opferwilligem Eifer zeugt es nicht, wenn wir 1651 lesen: „Ego ipse de beiden kerchdoren angestrechen; de farbe kostet 2 Daler.“
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Alles was zum Gottesdienste erforderlich war, mußte neu beschafft werden: Meßgewänder, Fahnen, Antipedien, Altargardinen, Altarbücher, Alben und sonstige Paramente; eins der Meßgewänder wurde aus einer 1645 für 6 Malter Roggen in Wesel gekauften „roedt dubbelt armesien scherpffe oder feltzechen“ angefertigt. Den Kelch ließ Spannier 1647 neu vergolden; auch kaufte er eine Monstranz, ein silbernes Ciborium, einen Kronleuchter, eine ewige Lampe, eine große Kirchenschelle und vieles andere. Um den Altar ließ er ein neues Subsellium anfertigen, für das Chor der Kirche neue Bänke. Schnitzarbeiten bezog er von einem Künstler aus Dorsten, dem Küster Ferdinand, so ein Kruzifix, ein Bild des hl. Geistes, ein Marienbild, ein Bild des Patrons S. Silvester und zwei für den Altar bestimmte Engel. Malern gar er in Auftrag ein Altarbild, ein Bild der hl. Dreifaltigkeit, von Christi Einritt in Jerusalem und von Christi Ausführungen aus diese Stadt, ein Ecce homo- und ein Kruzifix-Bild, ein Bild von der Krönung Mariä und Bilder der zwölf Apostel. Fürwahr, eine umfassende Tätigkeit in einer Zeit, wo ganz Deutschland an den Folgen des dreißigjährigen Krieges daniederlag, der namentlich in der Hessenzeit (1633-1648) auch das Münsterland schwer heimsuchte. 18)
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18) Auch durch den Krieg, der in den Niederlanden gegen die spanische Herrschaft geführt wurde, sah sich Erle in Mitleidenschaft gezogenen. Nach einer Urkunde vom 3. August 1605 versetzt damals die Kirchengemeinde dem Pächter auf dem Werl (s. o.) eine Wiese „des ledigen Krieges halben, derweile wir auff unseren eignen beuttell haben mossen schützen halten.“
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Auch eine neue Glocke wurde 1631 für Erle gegossen. Sie zeigt außer dem Bilde des hl. Silvester und der Jahreszahl das Wappen und den Namen des Freiherrn Burchard von Westerholt zu Lembeck, die Namen des Pfarrers („Michael Spannier pastor me fieri curavit“), des Glockengießers (Johannes Formica) und der beiden Kirchmeister, sowie den Spruch: „De Lebendigen rope ich, de Doden bewehne ich, Hagel vndt Donder breke ich.“ – Die beiden anderen Glocken der Kirche zu Erle wurden 1792 und 1851 zu Dinslaken (Henr. Petit) und Gescher (Petit und Edelbrock) neu gegossen; letztere stammte aus dem Jahre 1469 und war ehemals der heiligen Katharina geweiht, 19) heute trägt sie da Bild der unbefleckten Jungfrau Maria und die Begrüßungsworte: Salve regina, mater misericordiae, vita, dulcedo et spes nostra.
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19) Nach einer Aufzeichnung im Pfarrarchiv hatte sie am Rande den gleichen Spruch wie die Glocke von 1631; „de levende rope ik, de todden beklage ik, hagel un donner breke ik;“ etwas niedriger sei die Jahreszahl angebracht gewesen, ebenso der Taufname: Catharina hete ik. (Vgl. auch Tibus 1066.)
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An dieser Stelle mögen auch noch eine Angaben aus den von 1644 bis 1675 reichenden Kirchenrechnungen Erwähnung finden, weil sie für die Verhältnisse jeder Zeit charakteristisch sind. Regelmäßig finden sich Ausgaben für Kommunikantenwein verzeichnet. 1644 wurden zu solchem Zwecke sowohl Weihnachten wie Ostern je 12 Kannen in Wesel angekauft; die Kanne kostete 10 Stüber, zwölf Kannen also 4 Daler oder 6 Scheffel Roggen. 1645 besorgte man das gleiche Quantum aus Wesel und außerdem noch zu Pfingsten 5 Kannen aus Raesfeld. 1662 verbrauchte der Pastor das Jahr hindurch auf dem Altare 10 Kannen, während man „pro communicantibus“ zu Weihnachten 12 , zu Ostern 17 und zu Pfingsten 7 Kannen Wein holen ließ. Es bestand also auch damals noch die Sitte nach Empfang des hl. Sakraments die Nachspülung  zu nehmen. – Wie die hl. Öle und das Chrisma, so ließ man meist auch den Weihrauch von Münster besorgen. – Die Kerzen pflegten Pastor, Kirchmeister und Küster selbst  zu machen, wobei es ohne einen guten Trunk Bieres nicht abging. So heißt es 1644: „als wi de kertzen maketen auff Christmiß ihn Kosters hauß, verzert Kirchmester, Pastor indt Koster 3 fanen beer ad 15 ft,“, und „auff osteren, als man de paschkertzen neben den anderen kertzen makede, kirchmeistere, pastor, pawell (d.i. Kaufmann Paul von Ackern, von dem man das Wachs kaufte) ind Custos verzert 1 D.“ – Der Pastor erhielt „auff pallem, auff stiellen fridach, auff paschabent, auff nuweihar int allen ferhochzeiten“ jedesmal eine Kanne Wein, „ad 10 st. de kan“. – Die Kirchenrechnungen berichten auch, daß seit alter Zeit auf Weihnachten, Ostern, Pfingsten und am Sonntag vor Mariä Geburt („dominica ante nativitatem B. M. Virginis, quando dedication nostrae ecclesiae habetur“) im Pfarrhause eine Festtafel stattfand; es heißt z.B. 1646: „De Kirchmeistere, Custos unt andere Kirchendeiner komen alle feerhochzeiten bei dem pastori nach altem gebrauch zur malzeit; alsdan haben se von der Kirchen zu verzeren 1 D. (- 1644: facit int jhar 4 Daler).“ 20) – Auch denjenigen, die bei der Kirchspielprozession zu Pfingsten (feria tertia pentecostes) „vnse Siluester vnd vnse liuen frauven belt gedragen ond die mitt die Klocken geludet haben ond die fanen gedragen“, wurde im Pfarrhause ein Imbiß dargereicht, der Verzehr betrug jedesmal 2 Daler.) Für die Fahnenträger bei den Prozessionen nach Rhade, Raesfeld und Schermbeck stehen jedesmal 8 Stüver in Rechnung.
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20) Erst zur Zeit des Pfarrers Karthaus ist dieses Festmahl in Wegfall gekommen.
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Auch den Pächtern stand ein Trunk zu, wenn sie ihre Abgaben entrichteten; 1644: „als de Kirchen-Eruen ihre pechte bezalten in der Weddemhauen, de pechters verzert 14 fanen beer, de fan 5 st., facit 2 D. 20 st.“  Gegessen und getrunken wurde natürlich auch im Pfarrhause, wenn der Richter von Lembeck die Jahresrechnung der beiden Kirchmeister prüfte. Die Kirchmeister, welche die Verwaltung der Kircheneinkünfte zu besorgen hatten, wurden jedesmal auf vier Jahre von der Gemeinde gewählt und dann vom Patronatsherrn ernannt; war ihre Zeit abgelaufen, so hatten sie vor den in der Kirche versammelten Gemeindemitgliedern über ihre Geschäftsführung Rechnung abzulegen.

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Gleich die älteste Kirchenrechnung, die uns erhalten ist, berichtet über einen „Scholemester in Erle“; damals wurden ihm unter Zustimmung der Gemeinde aus dem Kirchenvermögen 4 Scheffel Roggen überwiesen, ebenso in den folgenden Jahren. Später zahlte jedes Kind ein Schulgeld von 15 Silbergroschen, die armen Kinder waren davon befreit, doch wurden dafür dem Lehrer nach einer Angabe des „Armenbuches“ jährlich 4 Taler überwiesen. Der Lehrer war zugleich Küster. Als solchem standen ihm außer einer Hausstätte und einem Garten 13 Scheffel Ackerland zu, ferner die festgesetzten Jura sowie von den Kirchengütern Garbenzehnten; von jedem Erbe, von welchem der Pastor zwei Scheffel Roggen erhielt, bekam er einen Scheffel, von Horstmann jedoch nur einen halben Scheffel. Für das Stellen des Uhrwerks im Kirchturm erhielt er jährlich 6 Scheffel Roggen. – Der älteste Lehrer und Küster, der uns dem Namen nach bekannt ist, war Henrich Richters; 1649 trat er sein Amt an und bekleidete dasselbe nach einem Rotariatsinstrument noch 1690. Er unterrichtete in seinem eigenen Hause, das am Platze gelegen war. 21) Sein Nachfolger im Amte war der später zu erwähnende Dietrich Jürgen Quickstert.
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21) Nach diesem „Hause des Küsters am Platze“ führen seine Nachkommen noch heute den Namen „Platzköster“; das Haus lag dem jetzigen Hause Schumacher gegenüber nach Osten in der Grasweide.
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Von einem Organisten ist zuerst 1659 die Rede. 1670 wurde für „die newe Urgel“ ein Söller gebaut. Dieselbe wurde damals durch den Organisten von Schermbeck versehen, der an allen Sonn- und Feiertagen nach Erle kommen mußte; er erhielt dann im Pfarrhause freie Kost und Bier, außerdem einen Jahreslohn von 12 Dalern.
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Michael Spannier scheint 1659 gestorben zu sein; die Kirchenrechnungen dieses Jahres zeigen anfangs noch seine Handschrift und sind dann vorläufig fortgeführt durch Johann Spannier, der als sein Erbe auftritt. Fast vierzig Jahre hindurch hatte Spannier in der Gemeinde gewirkt, und es war ihm möglich gewesen, in dieser Frist nach allen Richtungen hin Ordnung zu schaffen und die alten Mißstände zu beseitigen. Sein Andenken lebt noch heute fort in der dankbaren Gemeinde.
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III. Erle zur Zeit der Pfarrer Corte, Quickstert und Cumann (1659 – 1769).  –  Aufzeichnungen über die Kirchengüter und die Gerechtsame des Pfarrers.
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Nach Spannier war zunächst Heinrich Korte und dann von 1678 bis 1727 Hermann Quickstert Pfarrer in Erle. Dieser begann gleich 1678 ein Kopulationsregister zu führen, 1696 auch ein Taufregister; das Sterberegister wurde erst 1728 von seinem Nachfolger eingerichtet. Quickstert hat auch über die Kirchengüter eingehende Aufzeichnungen gemacht, welche die Mitteilungen der älteren Kirchenrechnungen über dieselben ergänzen und vervollständigen.
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1705 errichtete Quickstert an der östlichen Seite des Pfarrhauses auf eigene Kosten ein Haus, das bei erster Gelegenheit zur Stiftung einer Frühmesse in Erle verkauft werden sollte. Da es auf Pastoratsgrunde stand, mußte der Besitzer an den Pfarrer alljährlich 1 Taler und 1 Rauchhuhn entrichten, auch demselben 2 Handdienste leisten; 1844 wurde dieser Kanon abgelöst. Das neugebaute Haus wurde zunächst von einem Neffen des Pastors bewohnt, der, wie schon oben erwähnt, Lehrer und Küster in Erle war; aus diesem Grunde wird es noch heute „das Küsterhaus“ genannt und führt die Diele, auf der unterrichtet wurde, noch heute den Namen „Schule“. 22)
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22) Von Lehrer Quickstert kam das Haus an dessen Schwiegersohn Jakob Fasselt; heute wird es von Böckenhoff genannt Bente als Scheune benutzt.
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Nach dem Tode Quicksterts wurde 1772 der aus Ramsdorf gebürtige Ortwin Rave als Lehrer und Küster angestellt. Nun wurde an die Südseite der Kirche eine eigene Schule gebaut; sie lehnte sich an den Turm und reichte bis zum ersten Strebepfeiler der Kirche, war also sehr klein.
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In einer solchen Schule befanden sich nur kleine Fußbänkchen, auf denen die Kinder in hockender Stellung sitzen mußten; als Unterlage zum Schreiben wurden die hölzernen Kasten gebraucht, in denen die Kinder ihre wenigen Bücher und sonstigen Schulsachen sowie einige Stücke Holz oder Torf als Brennmaterial für den Schulofen alltäglich von Hause herbeitrugen. Zum Schreiben benutzten sie Gänsefedern und eine Tinte, die sie aus Galläpfeln und Eisenrost selbst verfertigt hatten. Nach Beendigung des Unterrichts steckten die Kinder ihre Federn hinter einen Riemen, der an der Wand hing; der Lehrer schnitt dieselben dann für die nächste Schreibstunde wieder zurecht. So wird uns berichtet in der „Erler Schulchronik“.
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Aus der Wirksamkeit des Pastors Quickstert, der ein seeleneifriger Priester war und in der Gemeinde viel Gutes stiftete, sei noch hervorgehoben, daß er am 20. Juli 1701 die Todesangstbruderschaft einführte; der für diese erwirkte Ablaßbrief ist noch im Ablaßbrief ist noch im Pfarrarchive vorhanden.
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Sein Nachfolger wurde der aus Wadersloh gebürtige Johann Joseph Cumann, der 42 Jahre lang als Pfarrer in Erle wirkte. Zu seiner Zeit hatte Erle gleich der ganzen Herrlichkeit Lembeck sehr unter den Drangsalen des siebenjährigen Krieges zu leiden, da fort und fort Fourage an das Magazin in Wulfen geliefert werden mußte und immer neue vorbeiziehende Truppenabteilungen Vieh und Lebensmittel sich aneigneten. Cumann starb am 17. Dezember 1769 im Alter von 72 Jahren. Sein Nachfolger nennt ihn im Sterberegister einen „pastor zelotissimus“. Mit besonderem Eifer sorgte er für die Erhaltung und Ausschmückung der Kirche. Das baufällig Dach, das bisher mit Ziegeln gedeckt war, ließ er 1736 mit Schiefer bekleiden, nachdem zu diesem Zwecke eine Kollekte in der Herrlichkeit Lembeck bewilligt war. Um Platz für zwei neue Bänke zu gewinnen, versetzte er 1769 den Taufstein an den Eingang der Kirche. Auch ließ er durch einen Pater in Dülmen mehrere Bilder auf Leinwand malen, die lange Zeit das Gotteshaus schmückten. Bemerkt sei noch, daß auf sein Betreiben im Jahre 1740 die zur Pastorat gehörenden Ländereien vermessen und durch Grenzsteine gesichert wurden.
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Nach den Aufzeichnungen Quicksterts waren die Höfe Rickert (jetzt Sondermann) und Hußmann seit alters Eigentum der Kirche, Prien (jetzt Stenert) und Nienhaus (jetzt Krampe) Eigentum der Pastorat; später waren auch die Einkünfte aus den Höfen Paveß (jetzt Heßling) und Horstmann, die ursprünglich zum Silvesteraltare gehörten, sowie den zuvor zum Marienaltare zahlenden Höfen Grevinck (Böckenhoff genannt Geving) und Heßling der Kirche selbst überwiesen. Die Gesamteinnahmen aus diesen acht Gütern betrugen 1644 und in den folgenden Jahren 98, später (so noch 1850) 100 Scheffel Roggen. Es waren also zwei Scheffel hinzugekommen. 23)
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23) Es sind dieses wohl jene zwei Scheffel, die nach einer Angabe Quicksterts Greving zuvor an die Kirche zu Altschermbeck zu zahlen hatte, dann aber an den Pastor zu Erle überwiesen waren für einen Dukaten, den dieser alljährlich von Altschermbeck zu fordern hatte.
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In älterer Zeit wurde dem Pastor ein Gewinngeld gezahlt, wenn eins der Kirchengüter in die Hände eines neuen Besitzers überging, doch wurde diese Verpflichtung später bestritten, und als 1846 bei dem Land- und Stadtgerichte zu Dorsten für Erle die Eintragungen in das Hypothekenbuch erfolgten, begnügte sich der Pfarrer, gegen die Weigerung der Bauern einen Protest zu Protokoll zu geben. – Bei einer Heirat auf einem der genannten Höfe verlangte der Pastor auf Grund alten Herkommens außer den allgemein üblichen Kopulationsgebühren von dem Bräutigam ein paar Stiefel, die nach dem Werte der Besitzung mit 4-8 Talern bezahlt wurden, und von der Braut ein neues Hemd; Pastor Quickstert schreibt, es hätten sich zu seiner Zeit „unterschiedliche wollten widersetzen, sed coacti semper solvere debuerunt ante copulationem.“ Er fügt hinzu: „Und sind die Kirchgüter noch glücklich, denn in allen benachbarten Kirchspielen müssen die Kirchgüter an den Herrn Pastor die Stiefel zahlen und daneben Gewinn geben an die Kirche.“ Jeder der beiden Kirchmeister hatte bei einer solchen Hochzeit von dem Bräutigam einen neuen Hut zu beanspruchen.
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Vor den Zeiten Quicksterts war es Brauch gewesen, daß der Pastor, wenn er zur Kindtaufe ging, die Taufgebühren erließ, „aber – so fügt er hinzu – auf der Hochzeit hat der Herr Pastor und Küster eine freie Zeche, so lange sie währt“. Auch war damals noch jeder der 32 Bauern der Gemeinde verpflichtet, dem Pastor zweimal im Jahre mit seinem ganzen Gespann zu dienen, einmal bei Graß und einmal bei Stroh, während die Kötter und sonstige Hauseigentümer, insgesamt etwa 90 an der Zahl, zwei Leibdienste leisten mußten, erstere mußten um 7 ½, letztere um 6 Uhr im Dienste sein. An dem Holze, das meist alle vier Jahre aus den gemeinsamen Marken zugewiesen wurde, stand ihm doppeltes Recht zu, ebenso an der Eichelmast; bei guter Mast konnte er so viel Schweine eintreiben, als er besaß. Auch hatte der Pfarrer das Recht, Tauben zu halten. An Gebühren erhob er für eine Taufe und die Einführung einer Mutter insgesamt gegen 1 Taler, 24) ebensoviel für die Kopulation und für ein Begräbnis mit Messe und Predigt; für die Proklamation erhielt er ein Paar Hühner. Bei einem Krankenbesuche hatte der Pastor 6, der Küster 3 Stüber zu beanspruchen; dieses berichtet Quickstert mit dem bemerkenswerten Zusatze: „totidem extrema unctio, quae quidem ante meum adventum nulli data: hine duplicato labore dublicavi iura bona puto conscientia.“
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24) "Clevischer Daler ist vor dem 7jährigen Krieg gewesen ½ Rthlr. Markgeld; nach dem Kriege ist eine münstersche Verordnung gekommen, alles in Markgeld zu bezahlen.“ (So Quickstert.)
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IV. Erle zur Zeit der Pfarrer de Weldige=Cremer, Lohede und Nonhoff (1770-1891)
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Auf Cumann folgte als Pfarrer Joseph Anton de Weldige=Cremer, ein Sprößling der seit alters in Dorsten angesessenen Familie gleichen Namens, zuvor Vikar an der Kapelle zu Lembeck. Zu seiner Zeit kam Erle unter preußische Herrschaft. Als im Jahre 1803 das Fürstbistum Münster säkularisiert wurde, ging das Amt Ahaus, zu dem auch Erle und die übrigen Gemeinden der Herrlichkeit Lembeck gehörten, zunächst an das Fürstentum Salm und bei dessen Aufhebung 1810 an das Kaiserreich Frankreich über; Erle kam damals zum Kanton Ringenberg das Arondissements Rees im Departement der Lippe. Nachdem dann 1813 die Franzosen durch die Preußen verdrängt waren, bildete Erle bis 1816 einen Bestandteil des Kreises Rees, dann des Kreises Recklinghausen; es gehört seitdem zum Amte Altschermbeck, das zugleich mit dem Amte Lembeck von Wulfen aus verwaltete wird. Die Franzosenzeit brachte bei der Nähe zur Festung Wesel für Erle häufige Durchmärsche und Einquartierungen; ganz besonders schlimm wüteten die Kosaken, die im Winter 1813-1814 sich einlagerten. So war Pastor de Weldige nicht in der Lage, für die Instandhaltung seiner Kirche Mittel aufwenden zu können. 1790 ließ er freilich das Pastorat neu erbauen, aber schon 1797 wurde dieselbe durch eine Feuersbrunst zum größten Teile wieder eingeäschert. Auch war er schließlich wegen hohen Alters nicht mehr im stande, seinen Verpflichtungen in genügender Weise nachzukommen. Die alten Gerechtsame der Pfarrei gerieten zum Teil in Vergessenheit, und die Kirchenbücher wurde von ihm so mangelhaft geführt, daß nachträglich von seinen Erben die Summe von 484 Reichstalern 25 Stübern eingezogen werden mußte; ein Prozeß über die Abgaben des Kirchenbauern Nienhaus endete mit einem Vergleiche. Zur Aushilfe in der Seelsorge ließ de Weldige an allen Sonn- und Feiertagen einen Pater aus Dorsten nach Erle kommen. Am 13. März 1814 starb er; seiner Kirche hinterließ er testamentarisch die Summe von 100 Talern.
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Sein Nachfolger wurde Franz Lohede, ein ehemaliger Franziskanerpater, 1760 zu Warendorf geboren. Er war 1777 in den Orden getreten, 1783 zu Rheine zum Priester geweiht, hatte seit 1784 als Magister zu Meppen, dann bis 1800 als Lektor der Philosophie zu Dorsten und bis 1881 als Guardian und Lektor der Theologie zu Rheine gewirkt, nach Aufhebung des Klosters war er Vikar zu Hoetmar gewesen. Er starb zu Erle am 6. März 1843.
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Als er im Juli 1814 sein neues Amt antrat, mußte er zunächst darauf bedacht nehmen, die Pfarrwohnung wieder in stand zu setzen und die Gerechtsame der Pfarre aus neue sicher zu stellen. Von den althergebrachten Spann- und Leibdiensten der Eingesessenen (s.o.) wurde damals kaum noch der dritte Teil geleistet. Lohede klagte deshalb beim Generalvikariate und beim Bürgermeister Grüter, wurde aber diesen zum Prozeß verwiesen.
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Um wenigstens den Besitzstand zu retten, traf er im Dezember 1818 einen Vergleich, nach dem ihm jeder der 33 Bauern 25) eine Entschädigung von einem halben klevischen Taler entrichten sollte, und schaffte sich ein Pferd und Ackergerät an, ließ sich einen Pferdestall bauen und seine Scheune vergrößern. Aber nur einige Bauern zahlen die Abgaben, und auch diese nur einmal, und als 1830 die Besitztitel berichtigt wurden, bestritt man die Verpflichtung, für welche die Entschädigung vereinbart war. Als die Angelegenheit dann auf einer Konferenz zu Schermbeck zur Sprache gebracht wurde, war man der Ansicht, es sei nicht ratsam, mit den eigenen Pfarrkindern zu Gerichte zu gehen, und Lohede fügte sich solcher Erwägung. Mehr Erfolg hatte er bei der Wiedervorderung der Meßhühner; welche schon seit längerer Zeit nicht mehr geliefert waren; nur einige wenige verhielten sich weigerlich. Ebenso blieb er siegreich, als bei der Teilung der Erler Mark, die auf Antrag mehrerer Interessenten 1822 von der Generalkommission verfügt wurde, ein Streit über das zur Verteilung kommende Holz entstanden war; das Generalvikariat entschied, daß dem Pfarrer zwei Anteile zukämen, während Patron und Kirchenvorstand einen derselben für die Kirche selbst in Anspruch nahmen. Als der Kirchenbauer Greving sich weigerte, bei Ablieferung seiner Pacht altem Gebrauche gemäß einen Schinken zu geben, der dann von dem Kirchenvorstande und den Kirchenbauern gemeinsam verzehrt wurden, kam es zu einem Prozesse; die Verpflichtung wurde als zu recht bestehend anerkannt, doch machte man von diesem Rechte später keinen Gebrauch mehr, da das „Kirchenpachttrinken“ Anlaß zur Unordnungen darbot, auch die Kirche die bei dieser Gelegenheit eine Tonne Bier geben mußte, dadurch selbst benachteiligt wurde.
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25) Verzeichnis der Bauern, welche Meßkorn geben mußten:
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a) in Österrich: 1) Bente aufm Hock (1 Scheffel), 2) Orendorf (1), 3) Tenk (1), 4) Rickert (1), 5) Paus (1), 6) Hueßmann (1), 7) Benning (1), 8) Greving (3), 9) Brand (1½), 10) Böckenhoff (1), 11) Ribbekamp (1), 12) Jost (1), 13) Budde (1), 14) Suendorf (1), 15) Horstmann (2), 16) Punsmann (1), 17) Bente im Dorf (2), 18) Heßling (1), 19) Tellmann (1);
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b) in Westrich; 20) Schneemann (1), 21) Riefmann (1), 22) Piethan (1), 23) Priem (1), 24) Hörnemann (1), 25) Wilms (1), 26) Pottbecker (1), 27) Wissing (2), 28) Nienhaus (1), 29) Klaus (1), 30) Overhage (1), 31) Luchmann (1), 32) Stegerhoff (1), 33) Askamp (1).
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Im Jahre 1822 wurde ein Frühmessenfonds in Erle gestiftet. Nachdem Pastor Lohede sich anfangs mit gelegentlicher Aushülfe durch fremde Geistliche beholfen hatte, war von ihm später ein Vertrag mit dem Franziskanerkloster zu Dorsten vereinbart worden, nach welchem dieses gegen eine Entschädigung von 25 Talern an allen Sonn- und Feiertagen einen Pater zur Verfügung stellen mußte, der am Nachmittage zuvor mit einem Wagen abgeholt wurde; für die Verpflegung wurde dem Pfarrer 24 Taler Kostgeld gezahlt, die Unkosten durch freiwillige Beiträge gedeckt. Bei Teilung der Erler Mark verkaufte man nun zur Stiftung eines Frühmessefonds für 1610½ Taler Markengrund, und da gleichzeitig 34 Grundrenten im Betrage von 26 Talern 21 Silbergroschen (=34 Tlr. 42 St. 3 Pf. klevisch) hergegeben wurden, so standen nicht nur jährlich 100 Taler als Gehalt für einen Hülfsgeistlichen zu Verfügung, sondern es konnten auch noch 5 Taler für die Verwaltung der Kirchenrendantur ausgeworfen werden, die bisher der Pfarrer selbst besorgt hatte; erster Kaplan war Anton Schwarze, dem 1841 Heinrich Neuwöhner folgte. 26)
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26) Neuwöhner starb als Landdechant in Telgte. Ihm folgten in Erle 1843 Heinrich Schmitz aus Laer (starb als Pastor in Heek), 1846 Heinrich Besseling aus Südlohn (starb als Pastor in Holthausen), 1858 Bernhard Wittgen aus Münster (jetzt Vikar zu Telgte), 1859 Frid. Ristemper aus Warendorf, 1863 Philopp Vorwich aus Ottmarsbocholt (starb als Pastor in Lette), 1865 Bernhard Segbers aus Legden (jetzt Pfarrer in Gimbte), 1887 der jetzige Pfarrer Peter Karthaus.
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Gleich nach Ankunft des Pastors Lohede wurde auch der Bau einer neuen Schule in Angriff genommen; da die Zahl der zu unterrichtenden Kinder auf 112 gestiegen war, war der vierzig Jahre zuvor aufgeführte Anbau an die Kirche nicht mehr ausreichend. Das neue Schulhaus wurde gegen eine Entschädigung an den Pfarrer auf dem Weidehof der Pastorat errichtet. Auf Ortwin Rave folgte 1818 als Lehrer und Küster sein Sohn Johann Gerhard Rave; er war von der damaligen Fürstlich-Salmschen Schulkommission geprüft, wurde jedoch bei seiner Ernennung durch den Grafen August Ferdinand von Merveldt als Patron verpflichtet, auch noch dem Normal-Unterrichtskursus Overbergs beizuwohnen und von diesem ein Approbationszeugnis beizubringen. Es starb 1823. Sein Nachfolger war Herman Brinkert aus Groß-Reken, ein Schüler Overbergs, und diesem folgte von 1829 bis 1848 Bernard Kempers aus Nienberge, bis 1887 Gustav Lammersmann aus Groß-Reken, dann dessen Sohn Heinrich Lammersmann. Im Jahre 1842 wurde dem Lehrer in der Erler Mark ein Heidekamp zugewiesen, 1886 dieser aber anderweitig in Benutzung genommen und der Lehrer dafür in entsprechender Weise entschädigt. Für Verwaltung der Küsterstelle erhielt der Lehrer zu Neujahr 17 Scheffel Roggen und hatte er die Nutznießung von einem Garten und mehreren Stücken Ackerlandes, die er selbst zu bewirtschaften pflegte.
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Mit Eifer ging Lohede bei Antritt seines Amtes ans Werk, um die unter seinem Vorgänger vernachlässigte Ausstattung der Kirche wieder in stand zu setzen. Das Geld, welches Pastor de Weldige testamentarisch überwiesen hatte, und was an Rückständen von dessen Erben eingezogen war, wurde verwendet, um eine neue Orgel, eine neue Kanzel und vier neue Fahnen zu beschaffen. 1816 wurde eine neue Orgelbühne errichtet, zu der das Holz von den Kirchenbauern geliefert wurde; da der Verkauf der Plätze auf derselben an 500 Taler ergab, so konnten nicht nur die Unkosten gedeckt werden, sondern es blieben auch noch die Mittel für einen neuen Altar, zu dem man den Altar zu Wulfen als Modell benutzte. Beichtstühle und Kommunionbank schenkte Graf Merveldt aus seiner Schloßkapelle. Alle diese Einrichtungsgegenstände, auch die vorhandenen Statuen, ließ man 1818 durch Weling aus Dorsten in Mahagonifarbe streichen. Auch ein neuer Kelch und ein neues Meßbuch wurden von Lohede beschafft. Anfangs sorgte er auch für die Ergänzung der Paramente, bei zunehmendem Alter jedoch nicht mehr, so daß sein Nachfolger nichts in gutem Zustande vorfand, als ein rotes Meßgewand und eine Stola, die wenige Jahre zuvor von der gräflichen Familie geschenkt waren.
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Bemerkenswert ist noch, daß im Jahre 1827 ein Teil der zum Kreise Rees gehörende Bauerschaft Overbeck zur Pfarre Erle überwiesen wurde; in demselben wohnten damals 18 Familien mit 123 Köpfen.
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Auch darf es nicht unerwähnt bleiben, daß am 26. August 1819 bei Gelegenheit des damals in der Nähe stattfindenden Manövers der damalige König Friedrich Wilhelm IV. dem Dorfe und seiner Eiche einen Besuch abstattete. Der alte Baum grünte fort, aber sein Inneres war morsch geworden. Um 1750 war die Höhlung noch unbedeutend; wir hören um diese Zeit, daß des dem kleinen Sohne des benachbarten Zellers Tellmann große Mühe kostete hineinzukriechen, um die Eier herauszuholen, die des Pastors Enten dort zu legen pflegten. Pastor de Weldige soll dann den Baum haben aushöhlen und einen Eingang zu demselben haben machen lassen. Jedenfalls konnte 1819 der Kronprinz und seine Generäle von Thielemann und von Haacke in der Eiche an einem gedeckten Tisch ihr Frühstück einnehmen und dann 36 Infanteristen in marschmäßiger Ausrüstung in der Höhlung Platz finden.
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Fortan gab es kein irgendwie bedeutsameres Ereignis in Erle, das nicht unter dem Schatten des Baums seine rechte Weihe gefunden hätte. So heftete  am 5. Juli 1814 der Landrat Devens im Innern desselben  dem damals 81 jährigen Pastor Lohede roten Adlerorden an. Auch wenn der Bischof bei Gelegenheit der Firmungsreise nach Erle kommt, pflegt ihm im festlich geschmückten Baume der Ehrentrunk gereicht zu werden. So wurde am 1. Juni 1832 der Bischof an der Schule bewillkommnet, dann unter Gesang zur Eiche geleitet und hier mit einem Glase Wein erfrischt; nach Spendung des hl. Sakramentes fuhr er am nächsten Tage weiter nach Altschermbeck. Am 16. Juli 1842 wurde Bischof Kaspar Max feierlich empfangen, nachdem er am Tage zuvor 150 Kinder der Gemeinde zu Raesfeld gefirmt hatte.
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Längere Zeit verweilte in dem Baume am 11. Juli 1851 Bischof Johann Georg; an einem runde Tische, dernebst zwölf Stühlen für ihn, seinen Hofkaplan, dem Landdechanten von Droste-Senden und nun andere Geistliche aus der Nachbarschaft sowie die Oberrentmeister des Hauses Lembeck im Hohlraume aufgestellt war, nahm er seinen Kaffee ein, und die Herren fühlten sich durch die Enge so wenig belästigt, daß sie erst nach Verlauf von zwei Stunden sich durch den Zugwind bestimmen ließen, in das  Pfarrhaus zurückzukehren.
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Nach dem Tode von Lohede wurde vom Grafen für die Pfarre Anton Nonhoff präsentiert, aus Laer gebürtig, seit 1833 Kaplan in Lembeck. Am 2. August 1843 erfolgte die feierliche Einführung durch den Dechanten von Droste. Der neue Pfarrer hat in der von ihm geführten Chronik eingehende Aufzeichnungen hinterlassen; nur das Wichtigste kann hier kurz hervorgehoben werden.
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Bei der frommen Gesinnung der Einwohner fiel es Nonhoff nicht schwer, für die dringend notwendigen Instandsetzung und Neuausstattung der Kirche die erforderlichen Mittel zusammenzubringen. 1844 wurde die Kirche geweißt, 1845 das Dach ausgebessert, 1846 die ganze innere Einrichtung bemalt; 1851 wurde der Kirchplatz neu eingefriedigt, 1868 ein neuer Kirchhof angelegt. So sorgte Nonhoff auch für die Kultivierung und Einfriedigung der Kirchengründe. Zahlreiche zum Teil selbst angefertigte Paramente schenkte die gräfliche Familie, so alleine neun ganz oder doch zum größten Teile neue Meßgewänder. Osthues in Münster lieferte 1848 eine neue Monstranz, Goldarbeiter Geenen in Kevelaer 1861 einen Kelch, 1873 wurde das wenige Monate zuvor gestohlene silberne Gefäß für die hl. Öle durch ein neues ersetzt, 1874 ein neues silbernes Krankenkreuz beschafft. Die aus dem Jahre 1469 stammende älteste Glocke der Kirch (s.o.) wurde 1851 umgegossen und am 19. Februar 1852 eingeweiht.
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Im August 1849 wurden in der Bauerschaft Österrich Beiträge für ein Kruzifix gesammelt, das dort an der Stelle des alten Hagelkreuzes aufgestellt wurde; das letztere fand einen neuen Platz an der Landstraße nach Dorsten. Im Herbst 1854 hielt man eine Kollekte ab, um an der Stätte des sogenannten weißen Kreuzes, das ganz verfallen war, eine kleine Muttergotteskapelle zu errichten. Die Sammlung ergab an 120 Taler. Da sich aber immer mehr die Notwendigkeit herausstellte, die kleine baufällige Kirche durch einen Neubau zu ersetzen, wurde das gesammelte Geld für einen solchen zurückgelegt, und man begnügte sich, das weiße Kreuz durch ein neues Kruzifix zu ersetzen. Fortan wurde für den Neubau des Gotteshauses in der Gemeinde eifrig gesammelt.
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Am 8. Oktober 1891 starb Nonhoff im Alter von 88 Jahren, nachdem er 48 Jahre lang höchst segensreich in Erle gewirkt hatte. In selbstloser Liebe hing er an seinen Pfarrkindern. Mochten auch seine Einkünfte in Erle nur gering sein, so schlug er doch die ihm vom Grafen von Landsberg angebotenen Pfarrstelle zu Velen aus, indem er sich äußerte, was wohl seine Gemeinde von ihm denke würde, wen er sie verlasse; so kostete es sogar Mühe, ihn zu Annahme des im zukommenden  Staatszuschusses zu bewegen. Seine Grabstätte fand er vor dem Kreuze des neuen Kirchhofs.
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Ihm folgte als Pfarrer Peter Karthaus, geboren zu Soerabaya auf der Insel Java, 1874 zum Priester geweiht, zunächst 4 ½ Jahre lang Informator auf Tüshaus bei Wulfen, dann Kaplan zu Lembeck, seit 1887 Kooperator in Erle. Als er am 15. Dezember 1891 durch Dechant Lorenz aus Dorsten in sein neues Amt eingeführt wurde, nahm die Gemeinde an der Feier freudigen Anteil; abends wurde ein Fackelzug dargebracht und ein Feuerwerk abgebrannt, und wie der ganze Pfarrhof, so war auch die alte Eiche festlich illuminiert. Ebenso festlich war Erle geschmückt, als am 14. August 1900 Weihbischhof Graf von Galen das Sakrament der Firmung spendete; in den drei vorausgehenden Jahrzehnten waren die Firmlinge zum Empfange des hl. Sakramentes nach Schermbeck geführt worden. Von den Bemühungen des gegenwärtigen Pfarrers, für würdige Ausstattung des neuen Gotteshauses war schon oben die Rede. 1893 brachte er von einer Fahrt nach Rom Reliquien des hl. St. Silvesters mit, des Patrons der Kirche zu Erle, 1894 ließ er durch Kapuzinerpatres eine Mission abhalten, 1893 führte er den Verein der hl. Familie  ein, 1895 die Bruderschaft von der ewigen Anbetung, 1896 die Rosenkranzbruderschaft, 1898 den Mütterverein. 1892 wurde die Pastorat umgebaut, in den Jahren 1894 und 1895 die Ablöse aller Intraden der Pastorat, Küsterei und Kirche durchgeführt.
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Seit 1886 hatte Erle auch eine Mädchenschule; sie wurde mit 93 Schülerinnen eröffnet, während in der alten Schule 88 Knaben verblieben. 1893 wurde auch für die Knabenschule ein Neubau errichtet. 1894 wurden die Schulen auf dem Gemeinde-Etat übernommen. 1818 hatte die Gemeinde 758, 1828: 761, 1843: 753, 1858: 758, 1871: 728, 1885: 754, 1890: 760 Einwohner. Die Volkszählung von 1895 ergab eine Bevölkerung von 374 männlichen und 383 weiblichen Personen. Der Flächeninhalt der Gemeinde beträgt 2001 Hektar. Die 1827 eingepfarrte Bauerschaft Overbeck (s.o.), welche 130 Einwohner  zählt, ist hier nicht eingerechnet.
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So entwickelt sich das Leben des friedlichen Dörfleins im Schatten der Wodanseiche. Als 1892 der Baum zu stürzen drohte, wurde derselbe auf Anregung des Vereins für Orts- und Heimatkunde zu Dorsten mit eisernen Reifen umspannt und mit einem Gitter umgeben. Möge das altehrwürdige Denkmal längst entschwundener Tage noch lange vor drohendem Untergange bewahrt bleiben!

Ende



2012 - Aus der Frakturschrift übersetzt durch Michael Kleerbaum 
mit der freundlichen Unterstützung durch die Universitäts- und Landesbibliothek Münster.