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In der "guten alten Zeit" wurden die Zeugnisnoten noch in kompletten Heften per Hand vom Lehrer eingetragen. Glücklicherweise ist mir ein komplettes Zeugnisheft aus dem Jahre 1912 in die Hände gefallen und das in einem ausgezeichneten Zustand. Da die Noten in diesem Heft überaus gut sind und man sich nicht dafür zu schämen braucht, kann man dieses historische Dokument hier ruhig zeigen, denke ich. Darüber hinaus ist ehemalige Schülerin mit mir verwandt (wahrscheinlich eine Cousine meines Großvaters Josef Bockhorst. Dessen Mutter war eine geborene Meis. 

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Zeugnisheft der Christina Meis
Quelle: Archiv Walter Biermann,
mit freundlicher Genehmigung

 

Für alle, die Schwierigkeiten mit dem Entziffern der damals gebräuchlichen Frakturschrift haben, habe ich das interessanteste in unsere lateinische Schrift übersetzt:

 

Ohne Fleiß keinen Preis!

Zeugnis-Heft

für
Christina Meis

Arnsberg, Verlag von J. Stahl

 

Ein Wort an die Eltern.

Die größte Freude und das höchste Glück der Eltern sind gut erzogene Kinder. In diesen liegt die Hoffnung und Zukunft der Menschheit. Die Erziehung ist demnach eine der wichtigsten und heiligsten Pflichten der Eltern. Sie beginnt schon im zartesten Jugendalter mit der Entwöhnung, ehe noch das Kind Gutes und Böses unterscheiden kann. Je mehr das Kind heranwächst, desto mehr finden auch die übrigen Erziehungsmittel: das gute Beispiel, Belehrung, Gebot und Verbot, Überwachung, Lob und Tadel, Mahnung und Warnung, Lohn und Strafe sorgfältige Verwendung, um das Kind seinem höchsten Ziele – Gott und dem ewigen Leben – entgegenzuführen und zur Erfüllung seiner Pflichten als Mitglied der Familie, des Staates, der Kirche und der menschlichen Gesellschaft fähig und willig zu machen.

Die Schule soll die Eltern in dieser hochwichtigen Aufgabe unterstützen und ergänzen. Neben der erzieherischen Einwirkung bezweckt sie die Entfaltung, Übung und Pflege aller Körper- und Geisteskräfte und die Aneignung der notwendigen und nützlichen Kenntnisse und Fertigkeiten fürs Leben. Auch befähigt und ermuntert sie den Schüler zu eifrigem Streben nach selbstständiger Weiterbildung.

Aus der gemeinsamen erzieherischen Aufgabe des Hauses und der Schule ergibt sich die Notwendigkeit, daß Eltern und Lehrer in allen Angelegenheiten der Erziehung sich gegenseitig ergänzen und unterstützen und niemals sich entgegenarbeiten, damit nicht dort niedergerissen werde, was hier aufgebaut wurde.

Namentlich werden die Eltern auf den Auszug aus der Schulordnung aufmerksam gemacht und um genaue Beachtung dringend ersucht.

Die nachstehenden Zeugnisse sollen die Eltern über Betragen, Fleiß und Fortschritte ihrer Kinder unterrichten. Mögen die Zeugnisse das geistige Band zwischen Schule und Haus enger schlingen und die Eltern dadurch angeregt werden, vorhandene Mängel und Hemmnisse zu beseitigen und mit dem Lehrer wegen geeigneter Mittel zur besseren Erreichung des Erziehungszieles Rücksprache zu nehmen!

Die Zeugnisse sind von dem Vater oder dessen Stellvertreter nach Einsichtnahme zu unterschreiben und ohne jede Nebenbemerkung dem Lehrer bzw. der Lehrerin zurückzugeben.

Die Schulaufsichtsbehörde sieht es sehr gerne, wen die Bücher, welche die Kinder aus der Schülerbibliothek zum Lesen bekommen, auch von den Angehörigen fleißig genutzt werden, weil bei Anlage der Bibliothek auf diesen Zweck besondere Rücksicht genommen ist.

 

 

Reihenfolge der Prädikate:

Betragen und Fleiß: lobenswert, gut, befriedigend, nicht ohne Tadel, tadelnswert.
Schul- und Kirchenbesuch: regelmäßig, ziemlich regelmäßig, unregelmäßig.
Leistungen: sehr gut, gut, befriedigend, genügend, wenig genügend, nicht genügend.

 

Auszug aus der Schulordnung.

 

§1. Bei Beginn des Schuljahres werden diejenigen Kinder schulpflichtig, welche bis dahin daß sechste Lebensjahr vollendet haben oder es bis zum 30. September desselben Jahres einschließlich vollenden werden.

§2. Kinder, welche einen Schulweg von mehr als  2 km zurückzulegen haben, sowie nicht vollsinnig, kranke, schwächliche oder geistig zurückgebliebene Kinder können von dem Kreisschulinspektor für daß erste Schulpflichtjahr zurückgestellt werden. Über etwaige körperliche oder geistige Fehler und Gebrechen (Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Stottern, Schwachsinn usw.) müssen die Eltern dem Lehrer sofort Mitteilung machen.

§3. Ohne dringende Gründe darf kein Kind die Schule und die Schulfeierlichkeiten versäumen. Nur bei genügenden Gründen, die schriftlich oder mündlich vorzubringen sind, dürfen die Kinder bis zu zwei Tagen von dem betr. Lehrer (der Lehrerin) beurlaubt werden. Anträge auf längere Beurlaubung sind bei dem Lehrer (der Lehrerin) anzubringen und von diesen an den Ortsschulinspektor (Rektor) bezw. Kreisschulinspektor weiterzugeben.

§4. Wenn ein Schüler wegen Krankheit die Schule nicht besuchen darf, so ist dieses dem Lehrer womöglich vor Beginn der Schule, jedenfalls aber noch an demselben Tage mündlich oder schriftlich oder in sonst zuverlässiger Weise von Eltern anzuzeigen. Unter Umständen kann ein ärztliches Attest als Nachweis verlangt werden. Sollten Krankheiten wie Cholera, Ruhr, Masern, Röteln, Scharlach, Diphtheritis, Pocken, Flecktyphus, Rückfallsfieber, Unterleibstyphus, kontagiöse Augenentzündung und Krätze bei Schulkindern und anderen Familienmitgliedern ausbrechen, so sind die Eltern verpflichtet, solches dem Lehrer (Rektor) und der Ortspolizeibehörde sofort anzuzeigen, damit Übertragungen dieser Krankheiten durch die Schule vermieden werden.

§5. Diejenigen Personen, welche für den regelmäßigen Schulbesuch der Kinder verantwortlich sind, ziehen sich bei Nichtbeachtung der §§3 und 4 die gesetzlichen Strafen zu.

§6. Die Entlassung aus der öffentlichen Volksschule findet nur einmal im Jahre und zwar am Schlusse des Winterhalbjahres statt. Zur Entlassung gelangen an diesem Termine alle diejenigen Kinder, welche das 14. Lebensjahr vollendet haben oder es bis zum 30. September desselben Jahres vollenden werden, vorausgesetzt, daß sie sich ausreichende Kenntnisse und Fertigkeiten erworben haben. Ist letzteres nicht der Fall, so kann die Schulbesuchspflicht durch den Kreisschulinspektor zunächst auf ein weiteres Jahr verlängert werden.

Eine vorzeitige Entlassung der Schulkinder findet hinfort nicht mehr statt.

§7. Schulkinder, welche in einem anderen Schulbezirk verziehen, müssen bei ihrem Lehrer (ihrer Lehrerin) abgemeldet und bei dem Leiter der nunmehr zu besuchenden Schule sofort angemeldet werden.

§8. Kurze mündliche Mitteilungen an die Lehrpersonen sind am zweckmäßigsten vor Beginn des Unterrichts, während der Pause um 10 Uhr oder nach Schluß der Schule zu machen. Während des Unterrichts ist jede Störung seitens der Eltern oder Angehörigen der Kinder (durch Anfragen, Anzeigen usw.) untersagt. Unbefugtes Eindringen in die Schule und absichtliche Störungen des Unterrichts werden polizeilich bezw. gerichtlich bestraft.

§9. Die Kinder müssen sauber gewaschen, ordentlich gekämmt und in reinlicher, nicht zerrissener Kleidung zur Schule kommen, sowie die vorgeschriebenen Bücher, Hefte und sonstigen Lernmittel in gutem Zustande bewahren. Die Eltern wollen ihre Kinder anhalten, die häuslichen Schularbeiten mit Fleiß, Sorgfalt und Selbstständigkeit anzufertigen.

§10. Jeder Schüler untersteht zunächst der Leitung und Aufsicht seines Klassenlehrers; diesem trägt er auch seine Wünsche und etwaige Klagen vertrauensvoll vor. Er hat sich ferner gegen seinen Klassenlehrer – wie gegen sämtliche Lehrer der Schule – jederzeit, in der Schule und außerhalb derselben, eines ehrerbietigen und folgsamen Benehmens zu befleißigen, seinen Anweisungen willig Folge zu leisten und sich überall gegen seine Mitschüler verträglich zu zeigen.

§11. Der Schüler soll zu bestimmten Zeit – frühestens 15 Minuten vor Beginn des Unterrichtes – in der Schule erscheinen und nach Beendigung des Unterrichts ruhig und ohne Aufenthalt nach Hause zurückgehen. Unentschuldigtes Zuspätkommen wird wie die unentschuldigte Versäumnis bestraft.

§12. Wer Eigentum der Schule oder seiner Mitschüler beschädigt, hat den Schaden zu ersetzen und wird nach Befinden noch besonders bestraft.

§13. Auch außerhalb  der Schule sollen die Kinder sich eines anständigen und sittsamen Betragens befleißigen. Insbesondere sind folgende Unarten, Roheiten und Vergehen streng  verboten:

Die Verunreinigung der Straßen und öffentlichen Plätzen, Lärmen und Raufen auf den Straßen, zweckloses Umhertreiben auf den Straßen nach Einbruch der Dunkelheit, das Rauchen, das Nachlaufen bei Leichenbegängnissen, bei Abführung von Verhafteten, daß Beschreiben und Beschmutzen der Häuser, der Mauern usw., daß mutwillige Ziehen der Hausschellen, das Aufsuchen und Ausnehmen der Vogelnester, das Einfangen der Vögel, das Werfen nach Eisenbahnzügen, elektrischen Straßenbahn-Wagen, elektrischen Leitungen aller Art, nach Gaslaternen oder elektrischen Beleuchtungen, das Schießen oder Werfen mit der Gummischleuder, das Spielen mit Feuer oder feuergefährlichen  Sachen (Streichhölzchen, Pulver, Patronen, Dynamit), das Betreten der Eisenbahndämme und des Straßenbahngleises, das Necken der Hunde, Scheuen der Pferde und andere Tierquälereien, Baumfrevel, das Anhängen an vorbeifahrenden Fuhrwerk, das Belästigen der Radfahrer, das Baden an unerlaubten Stellen und in unpassender Gesellschaft, das vorzeitige Betreten des Eises, das Glätten der Fußwege und Bürgersteige durch Schleifen (Schlendern).

Auf Grund der Anordnung der Schulbehörde sind zudem die Lehrpersonen verpflichtet, derartige grobe Vergehen der Polizeibehörde anzuzeigen, welche nach Umständen eine gerichtliche Bestrafung herbeizuführen hat.

§14. Niemand darf ein fremdes, schulpflichtiges Kind ohne schriftliche Erlaubnis desjenigen Königlichen Landrats, in dessen Verwaltungsbezirk die von dem Kinde besuchte Schule gelegen ist, zum Viehhüten anmieten oder verwenden, auch nicht in der Ferienzeit.

Schulkinder zu öffentlichen Aufführungen (kirchliche und Schulfeierlichkeiten sind ausgenommen) zu verwenden, ist unstatthaft, auch dann, wenn der Ertrag einem wohltätigen Zwecke dient.

§15. Kinder unter 14 Jahren dürfen auf öffentlichen Wegen, Plätzen usw. oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus Gegenstände nicht feilbieten; nur wo dieses herkömmlich ist, darf es die Ortspolizeibehörde für höchstes 4 Wochen in einem Kalenderjahr gestatten. (Gewerbeverordnung § 42 b.)

Das Mitführen von Kindern unter 14 zu gewerblichen Zwecken und die Beschäftigung von Kindern unter 13 Jahren in Fabriken und diesen gleichstehenden Anlagen sind überhaupt verboten; ältere noch schulpflichtige Kinder dürfen gleichfalls in Fabriken nicht beschäftigt werden. (§§ 62, 135 der Gewerbeordnung.)

§16. Die Unsitte, schulpflichtige Kinder zu Tanzbelustigungen und in Wirtshäuser mitzunehmen, ihnen geistige Getränke zu verabreichen, sie zum Kegelaufsetzen bis spät in die Nacht hinein zu benutzen, ist sehr beklagenswert und mit allem Nachdruck zu bekämpfen.

Den Wirten ist es gesetzlich verboten, Kindern Branntwein zu verabfolgen.

 

Dorsten, den 1. April 1907.

Der Königliche Kreis-Schulinspektor:
Schneider

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