Heimatmuseum online – Weltweit zu jeder Zeit
von Michael Kleerbaum

Heimatforschung hat bei der jüngeren Generation immer noch dieses gewisse angestaubte Image. Mit diesem Begriff können viele junge Menschen einfach nichts anfangen und verbinden ihn mit einem Hobby der Großelterngeneration. Das liegt auch im Jahr 2018 immer noch daran, das von vielen Heimatforschern das digitale Universum, in dem sich die Menschen heute bewegen, noch nicht für das eigenen Hobby erschlossen worden ist oder wenn, dann nur in halbherziger Form, nach dem Motto, da gibt es ja dieses Internet und da müsste man irgendwas ja mal machen. Als ich mich Anfang 2000 mit diesem Thema anfing auseinanderzusetzen, gab es im Internet auf örtlicher Ebene so gut wie gar nichts.

Zu dieser Zeit habe ich begonnen, mich nebenbei mit der Erstellung von Homepages zu beschäftigen und irgendwann hatte meine private Homepage dann auch ein kleines Kapitel mit ein paar allgemeinen Informationen über Erle. Als ich dann anfing, von der oberen Schicht der Geschichte meines Dorfes in die Tiefe zu gehen, hat mich dann das Hobby Heimatforschung gepackt und bis heute auch nicht mehr losgelassen. Aber da ich (geb. 1974; ich kenne übrigens keinen in meinem Alter oder jünger, der dieses Hobby mit mir teilt), mit Computern und Telekommunikation aufgewachsen bin, wollte ich das Ganze von vornherein komplett anders aufziehen und meine gesammelten Daten im Internet jedem zu jeder Zeit und vor allem kostenlos zugänglich machen. Mir ist nämlich bei meiner Arbeit eines klar geworden: Geschichtliches Wissen hat ein Haltbarkeitsdatum. Es verschwindet sehr schnell aus dem kollektiven Gedächtnis. Selbst Geschehnisse aus den letzten 50 Jahren sind teilweise einfach nicht mehr bekannt, auch in so kleinen Dörfern wie Erle. Auch das Wissen in Büchern hat eine Halbwertszeit. Hier wollte ich ansetzen und dem im Rahmen meiner Möglichkeiten entgegensteuern. 

Es begann alles 2005 mit einem kleinen Kapitel über mein Heimatdorf Erle auf meiner privaten Homepage und hat sich seitdem zu einem digitalen Abenteuer in Form von www.dorf-erle.de weiterentwickelt.

Der Beginn war für mich leider nicht ganz so einfach und ich bin einen steinigen Weg gegangen. Was viele etablierte Heimatforscher und die Verantwortlichen in den Heimatvereinen auch heute noch nicht wahrhaben wollen ist, das auch unser Hobby nur dann eine Überlebenschance hat, wenn wir den Sprung in die digitale Welt schaffen, parallel zu dem Althergebrachten. So bin ich recht häufig mit Anfragen und Vorschlägen gegen Wände gelaufen. Computer und Internet wurden, und werden heute leider immer noch, vereinzelt als nicht ernstzunehmendes Medium für die Heimatforschung und die Darstellung der Ergebnisse wahrgenommen. Sobald ich bei meinen Bitten um Fotospenden und Daten oder auch um nur um wechselseitige Zusammenarbeit vorsprach und erklärte, das ich eine eigenen Homepage betreibe und die Daten dort für alle Leute zur Verfügung stellen wolle, wurde direkt abgeblockt oder sogar versucht, mir Fehlinformationen unterzuschieben. Das ging tatsächlich so weit, dass ein honoriger und bekannter Heimatforscher aus einer Nachbargemeinde versucht hat, meine Arbeit zu diskreditieren. Ich habe den Eindruck gewonnen, das die eigenen Erkenntnisse eifersüchtig gehütet werden und man diese lieber im eigenen Heimatmuseum ungesehen und ungelesen im Archiv verstauben lässt als diese online mit aller Welt zu teilen. Einzig und alleine der Heimatbund Herrlichkeit Lembeck hat mich von Anfang an unterstützt und in Walter Biermann habe ich einen Bruder im Geiste und Heimatfreund gefunden und dessen unglaublicher digitalen Datenschatz mir eine geschätzte Quelle und Inspiration geworden ist. Es war daher für mich selbstverständlich, das ich Mitglied geworden bin.
Von den Hindernissen und Steinen, die mir in den Weg gelegt wurden, habe ich mich aber nicht abhalten lassen und eigenen Quellen aufgetan und Kontakte zu Archiven und Institutionen geknüpft. Denn mittlerweile haben viele Archive ihr Datenmaterial online gestellt und auch viele Bücher, die es schon lange nicht mehr zu kaufen oder zu leihen gibt, sind online teilweise komplett oder in Auszügen lesbar. Wer weiß, wie und vor allem wonach man dort suchen muss, ist überrascht, wo man Dinge über Erle finden kann, z.B. in Archiven in England und den Vereinigten Staaten. Aber auch die hiesigen bekannten Archive geben in vielen Fällen gerne und bereitwillig Auskunft bzw. die Erlaubnis, Texte, Bilder und Fotos zeigen zu dürfen. So habe ich ein kleines Netzwerk aufbauen können und mit der Zeit konnte ich auch schon vielfach mit Informationen aushelfen. Im Laufe der letzten dreizehn Jahre ist www.dorf-erle.de so zu der umfangreichsten Informationsplattform über das Dorf Erle geworden. Man sich dort quasi von der Jungsteinzeit bis zum Jahr 2018 über die Erler Geschichte informieren. 
Mittlerweile ist zu dem rein geschichtlichen Teil über Erle noch ein ganzer Schwung allgemeiner Informationen hinzugekommen. Zurzeit kann man dort über 1000 Fotos, Zeichnungen und Grafiken aus den letzten 150 Jahren sehen. Das fängt mit historischen Fotos und Karten an, geht über alte Postkarten und endet auch nicht mit historischen Dokumenten wie alte Kirchenbücher, amtlichen Schreiben, über hundert Jahre alte Schulzeugnisse und Adressbücher. So konnte ich zum Beispiel mit Erlaubnis der Erben viele der Aufsätze vom bekannten Heimatforscher Heinrich Lammersmann aus der Frakturschrift in die lateinische Schrift übertragen und diese erstmals seit den 1920er Jahren wieder einem breiten Publikum zur Verfügung stellen.

Nach dreizehn Jahren www.dorf-erle.de kann man, glaube ich, mit Recht behaupten, das die Vision vom barrierefreien, weltweit zu jederzeit und kostenlosen Heimatmuseum zu Erle ein Stück weit Wirklichkeit geworden ist. Aber ich bin noch lange nicht fertig, es gibt immer wieder neue und spannende Geschichte und Geschichten aus der Heimat zu entdecken und mitzuteilen.

Die digitale Vernetzung zwischen den einzelnen Heimatforschern ist in meinen Augen aber noch sehr ausbaufähig. Viele Dörfer der Herrlichkeit Lembeck wurden und werden an die Breitband-datenautobahn angeschlossen. Damit wird die effektive Recherche deutlich vereinfacht. Allerdings sollten die Heimatvereine und –verbände nun auch diese Chance ergreifen um ihre eigenen, unschätzbaren Bestände zu digitalisieren und der Öffentlichkeit auch im Netz zur Verfügung zu stellen. Und zwar richtig und nicht nur halbherzig nur um irgendwas im Internet zu machen. Um es gleich vorweg zu sagen, denn ich kenn die Einwände, die sich zwangsläufig zu dieser Idee bilden schon zu gut: Niemand möchte die traditionelle Arbeit dieser Institutionen damit überflüssig machen oder abschaffen. Nein, natürlich nicht. Aber man muss die Zeichen der Zeit erkennen und jetzt und heute damit anfangen, sich der „neuen“ Zeit (die für die heutigen Ü30-Generation selbstverständlich ist) anpassen und sein bestehendes Angebot durch eine digitale Präsenz im Internet ergänzen und erweitern. Sonst wird es dazu kommen, dass wir die letzten Dinosaurier unserer Art sind und die Heimatforschung durch Privatleute sehr schnell selber zu einer Fußnote der Geschichte werden wird.