Neujahrskucher
von Hauptlehrer Heinrich Lammersmann 1929
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Neujahr! Welch ein wohliges Wort für Junge und Alte, für Kleine und Große! Magnetisch zieht es alle in die Heimat der Kindheit hinein. Wer gebannt nicht folgen kann, der schickt sein Herz und seine Gedanken hin und der schwerfällig Körper bleibt wehmütig fern.

Nach dem hochheiligen Weihnachtsfeste steigt Neujahr wie ein Morgenstern herauf! Schon das Wort rührt unsere Phantasie in die saubere Wohnstube. Mit weißem Quarzsande ist der Fußboden bestreut. Der blank gescheuerte Tisch in der Mitte wird von einer langen Holzbank und sauberen Stühlen umgeben. Darüber hängt die Lampe. Vom runden Ofen, der Kanone, wird eine angenehme Wärme verbreitet; meint es der Ostwind mit Frost und Eis gar zu gut, dann brummt dieser runde Wärmespender und strengt sich so sehr an, daß seine Wangen sich röten und die alten und die alten Leute in ihrem Lehnstuhl in respektvollen Abständen rücken und Hund und Katze öfters ihren Platz wechseln. Das kann der alte Brummer; noch nie hat der Frost es fertig gebracht, die kleinen Scheiben dauernd zu besetzen mit seinen sibirischen Malereien. Hinter seinem rotglühenden Leibe hat er noch so viel Wärmestoffe in dicken Holzkloben aufgespeichert, daß er für den langen Neujahrsabend hinlänglich versehen ist, und das will schon was heißen.

Aus solcher Stube läßt sich’s gar gut hinausschauen über den verschneiten Hof in das winterliche Feld, wo Wege und Stege längst unter dem Schnee verborgen liegen. Es sollen ja auch die „Kucher“ in diese gemütliche Stube einziehen; alle, die hier ihre Heimat haben, deren Wiege hier auf und ab gegangen nach dem Takte von Mutters Wiegenlied. Sie alle sind am zweiten Weihnachtstage persönlich zum „Kuchen“ eingeladen. Drei Tage kehren alle heim in die Heimat ihrer Kindheit. Kein Meister und keine Herrschaft werden so vermessen sein, gegen diese alte Sitte zu verstoßen. Läuten am Nachmittage vor dem Neujahrsfeste die Glocken, dann ziehen die Kucher ihrem Heime zu. Fragst Du sie, wohin des Weges? dann klingt es zurück wie Wachtelschlag vor der Ernte: „Henn kuken, henn kuken, henn kuken!“ Der lange Schornstein auf dem großen roten Ziegeldache mit seiner Rauchfahne winkt ihnen aus der Ferne schon ein Willkommen entgegen. Wird’s auch schwer, durch den Schnee zu waten, kneift der Wind auch in Wang’ und Ohr, was schadet das alles, dort winkt ja die Heimat der Jugend. Nicht leicht ist das Wetter imstande, einen Kucher zurückzuhalten. Hat das Leben auch manche weit in die Welt geschleudert, Neujahr zieht es alle wieder zum Mittelpunkt.

Endlich sind alle Schwierigkeiten überwunden, man tritt durch das „Hecke“ auf den Hof. Es grüßt der Hofwall mit Eichen und Buchen, der Speicher mit dem Backofen, der verschneite Garten mit seinen kahlen Rosenbüschen und Obstbäumen, und der Hofwächter meldet den Kommenden mit tiefer, eigentümlicher Stimme. Hat er schon was gemerkt? Augenblicklich beleben sich die kleinen Fensterchen. Unten sind es kleine Kindergesichtchen, deren rote Näschen an den Scheiben platt gedrückt sind, darüber freundliche Augen der Erwachsenen und selbst graue Bärte sind zu sehen. Sollte da einem „Kucher“ nicht warm ums Herz werden trotz der Winterkälte bei einem solchen Empfang? Alles, alles ist vergessen – daheim bei den Lieben ist man. Mit einem freundlichen Anruf zu dem treuen Hofhund, öffnet der Kucher die Tür und steht in der Küche. Die Ware Luft des Elternhauses umfließt ihn, alle Hände ziehen ihn herein, und jeder Mund spricht sein „Willkommen“. So geht es am flackernden Herdfeuer vorbei in die durchwärmte Stube. Die durchnäßten Stiefel werden mit trockenen Holzschuhen vertauscht und jede Bequemlichkeit wird gewährt, die ein Bauernhaus zu bieten vermag. Auf dem Ofen bläst der kupferne Wasserkessel schon Wasserdampf in die Luft, und der Deckel tanzt und hüpft. Die gute Mutter hat schon für kochendes Wasser gesorgt, und nun nimmt sie die Mühle vom Schrank und rrrrr rr wird der belebende Kaffee gemahlen und zu einem erfrischenden Trank gebraut. Tassen klirren und was in den letzten Tagen im Speicher im Backofen geschaffen wurde, kommt nun auf den sauberen Tisch. Auch der Wiemen gibt sein Bestes her, Schinken und Wurst, um den Gast nach der Reise zu stärken und zu erquicken. Reichlich muß es sein, die Teller dürfen nicht leer werden. Die Wertschätzung wird durch die Menge und Vielseitigkeit der Speise erhöht, wie ehedem bei dem ägyptischen Josef. Während nun Fragen und Antworten wechseln mit Erzählungen und Verwunderungen, schlägt der Hofhund wieder an. Er vermeldet den zweiten „Kucher“. Man sieht ihn durch die kleinen Fensterscheiben und winkt ihm ein Willkommen zu. So geht es fort, bis alle zusammen sind. Alle laben sich am reich besetzten Tisch und teilen ihre Erlebnisse, ihre Hoffnungen und Wünsche einander mit. Auch die Verhältnisse der benachbarten Höfe sind ihnen nicht gleichgültig.

Hat man sich nach der beschwerlichen und doch so freudig erwartungsvollen Herreise genügend gestärkt und erquickt an der elterlichen Tafel, so erhebt man sich, um Umschau zu halten, bevor die frühe Dämmerung eintritt. Die Männer wenden sich der Tenne zu, um das Vieh, die Ställe und Vorräte zu besichtigen; bauliche Veränderungen werden kritisch beurteilt und das in der Fremde Erlebte und Erschaute zum Vergleich herangezogen. Die Mädchen jedoch gehen in die Kammern und beschauen den Zuwachs in Schrank und Schrein.

Wieder vermeldet der Hofhund einen neuen Besuch. Die Haustür wird flink geöffnet und herein treten die Kucher vom Nachbar. Kurze und herzliche Begrüßung sehen wir im Scheine des Herdfeuers in der großen Küche. Das Frage und Antwortspiel beginnt von neuem, ein jeder wird nach seiner Entwicklung beurteilt. Der Hausherr holt eine Flasche und ein Gläschen, und jeder macht zum Willkommen das „Armbein krumm“. Da das Vesperbrot dankend abgelehnt wird, müssen sie allen zum Pfannkuchen – zum Abendessen bleiben. Wer könnte oder wollte da absagen, zumal oft glänzende Augen ihn in ihren Bann ziehen und „Ja“ suggerieren!

Man setzt sich im weiten Bogen um das Herdfeuer. Die Flamme leckt um den schwarzen Kupferkessel und ist Wärme- und Lichtspenderin. Am Neujahrsabend wird nicht mit Brennmaterial gespart. Der Halbaum wird unter den Bügel des Kessels bis auf die Herdplatte geschoben und das Hal um einige Zacken höher gestellt. Nun ist die Feuergrube frei, kann mehr Wärme und Licht in die große steinbelegte Küche werfen und mehr trockenes Holz aufnehmen. Bei jeder Erzählung, bei jedem Witz, nach jeder Lachsalve kommt eine neue „Auflage“, so daß die Flamme züngelnd das Hal leckt und die schwarz lackierten Mürbänkchen streift und die Funken in Garben in den „Busen“ auffliegen und von dem weiten Schornstein aufgesogen werden. Junge, Hund und Katze rücken vom Aschenloche ab und der Kreis der Kucher erhält nach und nach einen größeren Radius. Die Schatten der Personen wachsen an den Wänden bis zu den Würsten, Schinken und Speckseiten in den Wiemen zu gespenstischen Größe und sind andauernd in einer zittrigen Bewegung. Was Wunder, wenn die Gesellschaft am Herdfeuer nicht nur moderne Errungenschaften zum Gegenstande des Gesprächs hat, sondern auch alte, vererbte Spuckgeschichten an der Glut des Herdfeuers aufwärmt und mit einer Ausschmückung auftischt. Es ist eben zu schön, im trauten Kreise das Gruseln im Rücken zu spüren. Das Gruseln liegt nahe beim Erleben. Am Herdfeuer ist es gut; unter dem baldachinähnlichen Busen enteilen die Stunden zu schnell.

Während die Gesellschaft in der Küche sich erfreut, dringt aus der Stube ein klopfendes und zischendes Geräusch. Dort ist die Hausmutter emsig tätig, den Abendtisch zu besorgen. Der Ofen hat seine Mütze abgelegt und trägt nun die eiserne Pfanne. Darin liegen 4 dicke Speckstücke, die im Fette schwimmen und ab und zu umgelegt werden. Ist genügend Fett ausgebraten, dann komme noch gespaltene Stücke Mettwurst hinein, die nach allen vier Winden zeigen. Endlich ergreift die Hausmutter das „Löpen“ mit dem Buchweizen-Pfannkuchenteig, schlägt denselben mit dem hölzernen Löffel noch einigemale gründlich durcheinander und läßt einen Teil davon schneckenlinienartig in die Pfanne auf Speck und Wurst laufen. Nun muß der Ofen seine Arbeit leisten. Sie ist nicht leicht. Er bekommt rote Backen davon; er brummt ganz vergnügt am letzten Abend des alten Jahres. Gerade so lustig zittert auch der werdende Pfannkuchen. Soll letzterer recht schön knusperig werden, so muß er schnell auf tüchtigem Feuer gebacken werden. Die Hausfrau darf sich nicht einen Augenblick entfernen. Bilden erhitzte Dämpfe Höhlungen, so fährt die Hausfrau mit dem Pfannenmesser unter den Kuchen und läßt die Dämpfe entweichen, damit der Kuchen sich wieder an die heiße Pfanne legen kann und den Wirkungen des Feuers ausgesetzt bleibt. Mit der kreisrunden, aus Korbweiden geflochtenen Pfannkuchenschüssel in der linken Hand, erwartet die Hausfrau den Augenblick, in dem der Kuchen schnell gewendet werden muß, damit auch die andere Hälfte schön knusperig braun wird. Nun ist es Zeit! Schnell fährt das Pfannenmesser unter den Kuchen her und löst etwa fest gebrannte Teile desselben, dann hebt die Frau die Pfanne mit dem Kuchen vom Ofen, bewegt den Kuchen in der Pfanne schnell hin und her und läßt ihn dann mit der gebackenen Seite geschickt auf die Schüssel gleiten, das in der Pfanne sich noch befindliche Fett wird auf die ungebackene Seite des Kuchens getröpfelt und – klatsch schlägt die Pfanne nach, und nun wird die zweite Seite so schön gebacken, wie es die münsterländischen Frauen verstehen. Wenn Fremde über den Geschmack des münsterländischen Pfannkuchens oft enttäuscht sind, so liegt es sehr oft daran, daß den Frauen die richtige Art und Weise der Backart nicht bekannt ist. – Ist der erste Kuchen fertig, so wird er auf eine Weidenschüssel gelegt und warmgestellt. Ist alles im Zuge, dann folgt rasch der zweite, dritte usw. Oft muß die Frau bis zu 20 Stück backen, denn ein gesunder Münsterländer ist seinen ganzen Pfannkuchen und oft noch mehr. Die kräftige Hausfrau glüht. Von dem Speck und der Wurst bildet sich ein Qualm und eine Überheizung in der alten, niedrigen Wohnstube; man öffnet ein Fensterchen und schnell fällt der weiße Schneedampf, der schon lange jenseits der Scheiben auf Einlaß gelauert hat, in die warme Stubenluft und vertreibt in wenigen Augenblicken Ueberhitze, Qualm und Geruch. Die auf dem langen Eichentische stehenden Tassen und Teller fühlen sich ganz winterkalt an. Nun ist es Zeit zum derben Abendessen, damit man das alte Jahr würdig ausfeiern und das neue mit starker Hoffnung beginnen kann.

„So! Nu sett u an!“ ruft die Hausfrau in die Herdfeuerrunde. „Dan will wi uis ok nich lange nödigen loten!“ hört man die Gäste sprechen, und sie komme alle an den gut besetzten Tisch in der frisch durchlüfteten Wohnstube, während das Herdfeuer verwaist um den kupfernen Kessel züngelt. Nach dem Tischgebet beginnt nun die Mahlzeit. Ein jeder langt zu und erfaßt ein Viertel des Wurstpfannkuchens und verzehrt es mit gutem Appetit freihändig; Messer und Gabel sind nicht gebräuchlich, sie sind überflüssig, denn die Hausfrau hat die Kuchen schon gevierteilt und zwar so, daß in jedem Stück Wurst und Speck vorhanden sind. Aus großen irdenen Schüsseln langt man mit kreisrunden zinnernen Löffeln dicke Milch als Zukost. Gesprochen wird während des Essens wenig. Die Gäste aber werden noch „genötigt“ zu weiterem Zugreifen, falls sie den Anschein erwecken, als wenn sie gesättigt wären, und meistens mit Erfolg. Die aufgehäuften Pfannkuchen verschwinden mehr und mehr, und die runden Löffel müssen immer tiefer in die irdene Schüssel tasten; der Westfale macht nichts halb, er ißt bis die Weiden unter dem letzten Pfannkuchen und das gemalte Vögelchen auf dem Boden der irdenen Schüssel sichtbar werden. „Es ist besser, den Magen zu verderben, als die gute Kost!“ Aber auch das letzte Stück wegzunehmen, wäre  nicht schicklich. Mit roten Backen sitzt die lange Reihe der Tischgenossen und wartet, bis das Dankgebet nach dem Essen gesprochen wird. Dann erhebt man sich allgemein. Die Mädchen greifen alle zu, den Tisch zu räumen; der Raucher unter den Männern holen Pfeife und Tabak hervor und setzen sie in Brand. Niemals soll die Pfeife besser schmecken als nach Wurstpfannkuchen und Plundermilch am Neujahrsabend.

Sobald der Tisch abgeräumt ist, setzt man sich zu Vieren und Fünfen an. Aus der Tiefe der Kitteltasche holt man die Kartenspiele, und aus der rechten Westentasche zieht man erstaunlich viele Kupferpfennige und Silbergroschen hervor – man muß doch nach altem Brauch das alte Jahr „auskarten“. Um die viereckigen Oellämpchen sitzen sie, oft in zwei oder drei Gruppen, Jungen und Mädchen – denn auch die meisten Mädchen verstanden das Solospiel – sehr ernst und nachdenklich bald die vor ihnen liegende Kupferkasse, bald die Karten überlegend prüfend, um dann die wichtigen Entschlüsse zu fassen. Die Mädchen sind in der Beurteilung der Karten und im Spiel durchweg schneller. Hat einer Glück, so wird er beneidet; er aber sortiert seine Kupfer- und Silberstücke in kleine Häufchen und wartet schmauchend auf die noch kommenden. Wer vom Glück weniger begünstigt wird, klagt über die schlechten Karten, bemängelt das Spiel seiner Mitspieler und zählt die übrig gebliebenen „Kröten“. Lisbett aber läßt sich gern rufen von Jans, nimmt Jans auch gern mit bei einer guten Frage, andernfalls aber schlägt sie keck Jans seine Herz über. Geldangelegenheiten lassen Lisbett vollständig gleichmütig und in ihrer Zielsicherheit schneidet sie gut ab; sie spielt sicher und zuverlässig, und jeder hat sie gern als Partnerin. Ob nicht Jans sie dauernd als Partnerin nehmen will im Lebensspiel? Vielleicht kommt er in den Kuchentagen mit der großen Frage!

Nicht umsonst heißen die drei großen Feiertage „Kuchentage“. Während in der Stube die Karten geworfen werden, ist die Hausfrau wieder vor dem brennenden Herdfeuer beschäftigt. Sie hat von der Hille das uralte Kucheneisen geholt. Ein kunstverständiger Schmiedemeister hat es vor vielen, vielen Jahren gemacht, und seitdem haben Mutter, Groß- und Urgroßmutter es zu Neujahr stets in Gebrauch genommen. Es ist wie eine Zange und aus Schmiedeeisen hergestellt. Zangenartig dreht es sich um eine Achse. Zwei etwa 80 Zentimeter lange Schenkel dienen der Handhabung. Entfernt man die Schenkel voneinander bis zu einem rechten Winkel, dann sind jenseits der Achse die beiden kreisrunden Halbformen der Kuchen auch in einen rechten Winkel zueinander gestellt. Die Innenseiten dieser Halbformen sind vielfach mit viel Fleiß und Kunstfertigkeit geschmückt. Stets ist nur eine die Hauptträgerin, während die andere verschnörkelte Blumen und Linien trägt, die zusammen ein Kreuz darstellen. Als Hauptdarstellung findet man wohl die hinter einem Berge aufgehende und strahlende Sonne von vielen Sternchen umgeben. Das Einhorn und das Lamm Gottes sind auch häufig. Auch findet man den Fisch abgebildet. Der Adler fehlt auch nicht. Zwischen den Doppellinien am Rande stehen in Spiegelschrift der Name des einstigen Hofbesitzers und die Jahreszahl. Was in die Halbformen hineingestanzt wurde, erscheint auf dem Kuchen natürlich in erhabener Darstellung. Um nun der Hausfrau das krampfhafte Zusammenpressen der langen Schenkel zu ersparen, hat mancher kluge Meister am Ende des einen Schenkels Zähne ausgeschlagen und gefeilt und am anderen Schenkel ein Ring angebracht, der hinter eine zusagende Backe gedrückt werden kann und das Eisen zusammen und geschlossen hält. Jedenfalls hat fast jedes Kucheneisen seine Absonderlichkeit und ist ein achtungswertes Familienerbstück. Wie viel Feste hat ein solches Erbstück schon wohl mitgefeiert? Wenn dieses Stück hervorgeholt wurde, war eitel Freude und Frohsinn unter den dicken eichenen Balken daheim. So ist es ja auch heute am Neujahrsabend. Auf einem Fußbänkchen steht die Schüssel mit dem Kuchenteig. Sorgfältig ist er aus Weizenmehl, aber auch wohl aus Buchweizenmehl mit Milch dickflüssig angerührt. Die gelbe Farbe verrät die Eier. Ein hölzerner Löffel steht zum Griffe bereit. In der Nähe steht die weidene Pfannkuchenschüssel zur Aufnahme der fertigen, knusperigen Küchlein. Allein kann die Hausmutter mit dieser Schnellbäckerei nicht fertig werden, darum sind einige Mädchen zur Hand. Zunächst wird der eine lange Schenkel der Kuchenform auf dem Herd gestellt und die beiden Formhälften sorgfältig gereinigt. Dann legt man ein ordentliches Stück Butter darauf und klappt die Form zusammen und hält sie so in das Feuer, daß sie sich langsam erhitzt und die Butter drinnen zerfließt und alle Linien, Striche und Figuren einfettet. Damit jede Seite gleichmäßig gefettet werde, dreht man die Form im Feuer. Ist sie genügend heiß, dann wird die Form aufgeklappt, und mit dem Holzlöffel legt man auf die Mitte den Kuchenteig, der zischend aufgenommen wird. Langsam klappt die Form wieder zusammen und drückt den Teig über die gesamte Kreisfläche, so daß er an dem Rande sichtbar wird. Nun hält man das Eisen nahe über die Glut der Holzscheite, immer wendend, so daß beide Seiten gleichmäßig schön braun werden. Eine kurze Zeit genügt, um ein so dünnen Gebäck zu backen. Schnell zieht man das Kucheneisen zurück, faßt mit einem Messer oder einer Gabel den Rand des Kuchens und rollt ihn auf die bereit stehende Weidenschüssel. Sofort empfängt die heiße Form eine neue Einfettung mit Butter oder Specke und einen neuen Teig, und schon ist der zweite Neujahrskuchen im Feuer bald fertig und auf der Schüssel. Oefter lecken die Bäckerinnen ihre Finger, einmal wenn sie beim Einfetten der Form, dem heißen Eisen zu nahe gekommen sind und das andermal, wenn beim Abziehen des neugebackenen Kuchens die Form den Kuchen so festhält, daß letzterer zerreißt und gleich verzehrt wird. Jedenfalls ist das Backen der Neujahrskuchen leichter als das Backen des Wurstpfannkuchens. Nach und nach füllen sich die Weidenschüsseln hoch auf und die Teigschüssel leert sich. Nun hat das Eisen vorerst seine Aufgaben erledigt und wird wieder an seinen sicheren Aufbewahrungsort gebracht, wo es neu gefettet der nächsten Festlichkeit entgegenharrt.

Die Hausmutter aber steigt hinab in den Keller und hinauf auf den Boden und holt an Obst heran, was man sorgfältig für Neujahr aufgehoben hat: Aepfel, Birnen, Hasel- und Walnüsse. Auch gedörrtes Obst wird aus einem Beutel aus dem Wiemen genommen. Alles wird zierlich in Körbchen gelegt und mit dem Kuchen in der Mitternachtsstunde auf den Tisch gebracht.

In der Wohnstube geht das Kartenspiel mit mehr oder weniger Glück weiter. Die Köpfe glühen. Kommt es vom Spieleifer oder von dem Rundgang des Glases? Jedenfalls wird die warme, verbrauchte und mit Tabaksrauch vermischte Luft in der niedrigen Stube auch nicht unschuldig sein. Alle sind weit entfernt davon, Ermüdung zu zeigen; es steigt die Spannung und Erwartung mit dem Herannahen der mitternächtlichen Stunde.

Da rasselt es im großen Holzkasten der Küchenuhr: Bamm! – bamm! – bamm! – „Glückselig Neujahr!“ – Ein jeder rufst! Jeder drückt dem anderen die Hand. Keiner bleibt ohne Glückwunsch und ohne Händedruck. Die Jungen gehen auf den Hof und schießen in die eiskalte, schneeige Winterluft ihre Neujahrsgrüße in die Bauerschaft hinaus und wieder zurück kommen die frohen Neujahrsgrüße aus allen Ecken, von allen Höfen. Dazwischen mischen sich die langgezogenen Töne des „Mittewintershorn“ (einer Schalmei, aus Holz gemacht) und jeder kennt das Horn am Ton und den Bläser an seiner Melodei. Doch gar zu lange verweilt man nicht im frostigen, weißen Schneedampf. Es geht wieder zurück durch die Küche am immer noch brennenden Herdfeuer vorbei in die warme Stube. Hei! wie das neue Jahr sich dort einführt! Der ganze Tisch ist bedeckt mit Schüsseln voll Neujahrskuchen, Tellern und Körbchen voll von roten und gelben Aepfeln, Birnen und getrocknetem Obst, dazwischen die Flasche mit einem guten Trunk. Die Hausmutter ladet mit lachenden Augen und heiteren Worten ein zum Zugreifen. Das lassen sich die Kucher nicht zweimal sagen. Jede und jeder greifen zu; nach kurzer Zeit hört man, wie allseitig das neue Jahr angegessen wird. „Paar off unpaar?“ hält Lisbett ihre Hand geballt, mit den Rücken nach oben, dem Jans hin. Jans schaut in die schelmischen Augen der Fragenden und sagt kurz: „Paar!“ Die Hand wendet sich um, öffnet sich und es liegen drei Nüsse darin. Nun muß er drei Nüsse als Bußer herausgeben, die unter lautem Lachen empfangen werden. Nun aber will der Geschädigte sich rächen und hält seine geballte Faust hin: „Paar off unpaar?“ Lisbett sagt kurzentschlossen: „Paar“. Die Hand wendet sich nur langsam und öffnet sich nur zögernd – da, es sind zwei Nüsse darin, die von der schlauen Gewinnerin als Tribut gefordert werden. Jans gibt sie dem Scheine nach widerwillig; ob er es im Wirklichkeit nicht ganz gerne tun? Nach und nach sind die ersten Gaben des neuen Jahres bis auf die Anstandsreste verzehrt.

Mittlerweile ist schon die erste Stunde des neuen Jahres verflossen und die weiblichen Teilnehmer verschwinden nach und nach. Die Karten haben nun in der kritischen Zeit unbenutzt auf dem Tische gelegen. Die jungen Männer denken nicht daran, Schluß zu machen. Sie suchen ihre Ehre darin, die Neujahrsnacht durchzuspielen. Sie rücken näher zusammen und weiter geht es in der Runde mit wechselndem Glücke bis aus dem fernen Dorfe die Morgenglocke herüberklingt. Dann wird es Zeit für die Übernächtigten, sich für den Kirchgang in den Frühgottesdienst zu rüsten. Man wäscht sich die Augen blank, trinkt eine selbst gebraute Tasse Kaffe und macht sich auf den Weg in die Kirche. Nach dem Gottesdienst wünscht man allen Bekannten, die man trifft, ein glückseliges Neujahr und trinkt dann in der Wirtschaft noch ein Gläschen zur Aufweckung der allmählich einschlafenden Lebensgeister und geht dann nach dem Hofe, um sich recht bald ins Bett zu legen und den nötigen Schlaf nachzuholen. Vor dem Mittagessen läßt sich wohl keiner mehr blicken. Nach und nach erscheinen sie aber alle wieder auf der Bildfläche. Der Kucher kann mit wenig Schlaf auskommen. Er hat noch sehr viel zu leisten. Heute geht es auf den Nachbarhof. Hier wird gefeiert wie am vorigen Abend, wenn auch die ganze Nacht nicht benutzt wird. Die Vormittage werden größtenteils zu Besuchen bei Freunden und Verwandten benutzt. Wenn es wahr ist, daß ein Mensch alles ertragen kann, nur nicht eine Reihe von guten Tagen, so gilt dies besonders von den Kuchentagen. Wenn der dritte Kuchentag sich zum Abend neigt, dann geht es wieder heim in die Stellung, in die Alltäglichkeit. Eine Überschreitung wäre etwas Unerhörtes gewesen. Also heim geht’s über das schneeige Feld. Fragst Du einen heimkehrenden Kucher: Woher des Weges? dann antwortet er melancholisch; Vont Kuuuken! und stapft weiter in Gedanken versunken durch den schreienden Schnee.

Die Männer jedoch haben meist ruhigeres Blut. Sie sitzen noch im Kreise um das Herdfeuer. Mag der Abend nur kommen, wenn sie vor Schlafenszeit daheim sind, ist’s gut. Unbekümmert steigen mit dem Rauche ihrer Pfeifen alte Erzählungen aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart. Geschichten sinds, die zum Lachen reizen, andere lassen eine Gänsehaut auflaufen und lehren das Gruseln. Was Wunder, wenn ein Kucher nach drei Tagen in später Abendstunde einem Gespenst begegnete! Vor hundert Jahren war der Pferdeknecht des damaligen Pfarrers auch nach dem Huck in der Oestrich beurlaubt. Dort auf dem Hofe seiner Eltern hatte Harm die Neujahrsfreuden in anständiger Form und vollem Maße genossen. Am Herdfeuer hatte er sich um die neunte Stunde verabschiedet und gedachte nach einer kleinen halben Stunde in seiner Dienststellung zu sein. Die prickelnde Wärme seiner Unterschenkel, die mit leinenen Gamaschen gegen Schnee geschützt waren, ließ bald nach. Wie dunkel und fremd schien ihm der väterliche Hof, trotzdem der blasse Mond durch Schneewolken fahlte. Noch einmal schaut er sich beim Speicher um und sieht an den kleinen Küchenscheiben den Schatten unbeständig tanzen. Am Hofeck erschrickt er vor dem alten Eichenstummel, der ihn mit seinen schwarzen Löchern unheimlich anglotzt. Nicht weit davon schein eine Person wartend zu stehen; er beruhigt sich, er kennt doch den alten Wacholderstrauch. Er zieht den Riemen seines blauen Kittels fester und nun geht’s in das östricher Feld, in den weißen Schneedampf hinein. Bange ist Harm nicht. Er weiß wohl Geschichten vom „Hofmänneken“, dem man nicht nachrufen darf, sonst setzt es sich dem einsamen Wanderer auf den Nacken und drückt ihm Brust und Kehle zu. Den Wehrwolf wird er ja gewiß nicht necken. Der Pferd ohne Kopf beim Teufelsstein kommt ihm nicht in den Weg. Er wählt seinen Weg nach dem Dorfe über die Ackerbreiten zwischen Buschgöte und Bakelbaum. Die Oestrich mit den bekannten Höfen und Bäumen ist in dem weißen Neben verschwunden. Um ihn ist weißer Nebel, über ihm fahler Mond und unter seinen Füßen knirschender Schnee. Wunderbar! Harm sieht einen schwebenden Wald, der mit der Erde in keiner Verbindung steht. Scheu dreht er etwas nach links ab und beschleunigt seine Schritte, um möglichst rasch aus der nächtlichen Einöde hinauszukommen. Gut dünkt es Harm noch, daß er den Liekenweg nicht genommen hat, denn Graats hat dort schon mehrmals Vorgeschichten geschaut und wer weiß, was ihm dort begegnet wäre! Er wendet sein Gesicht etwas nach links und schreckt ineinander. Was ist das? Es bewegt sich! Es kommt geraden Weges auf ihn zu! Seine Haare kriechen unter der Mütze und über seinen Rückenstrang rieselt es wie kaltes Wasser. Es ist ein Ungetüm wie eine Wannemühle. Beine sieht er nicht und doch hört er deutlich, wie der Schnee unter dem Gespenst krii! kruu! schreit. Der stockende Atem wird schneller. So leicht läßt er sich von dem unheimlichen Ding nicht einfangen. Er fängt an zu rennen, so schnell ihn seine Füße tragen können, über Ackerbreiten und tief verschneite Ackerfurchen geht es, das linke Auge muß das unheimliche Ding beobachten und das recht schaut sehnsüchtig aus, ob noch nicht bald die rettenden Lichter des Dorfes sich zeigen wollen. So geht es weiter und weiter, ohne Ruhe und Rast. Das Gespenst bleibt immer in einer Entfernung von 50-60 Schritten, aber die Erlösung – das Dorf – bleibt auch noch im Winternebel verborgen. Das Ergebnis dieses Wettrennens besteht darin, daß Harm über und über in Schweiß gebadet sich im Laufe den Kittelriemen weiterschnallt und das wollende Halstuch lüftet. Seine Füße werden nach und nach schon müde. Doch eine Hoffnung steigt in ihm auf. Dort, wo er läuft, zeigt der Schnee viele Fußstapfen – es ist also der rechte Weg. Also nur vorwärts! Das war leichter gesagt wie getan. Die Füße versagten und vom Trab kam er in den Schritt. Das linke Auge aber stellt fest, daß das Ungeheuer, anscheinend auch ermüdet, nicht näher an ihn herangekommen ist. Diese Wahrnehmung beruhigt ihn etwas. Wie lange er schon gelaufen ist, kann er nicht sagen, und noch immer befindet er sich im verschneiten Felde. Soll er die ganze Nacht laufen? Was wird der Pastor von ihm denken, da doch sonst immer pünktlich war? Bei diesem Gedanken fühlte er seine Pfeife unter dem blauen Kittel und gleich greift auch schon die Hand darnach. Im scharfen Marsche wird der Zunder auf den Feuerstein gelegt und im Gang Feuer geschlagen. Wie er nun den brennenden Zunder auf den Tabak legt, da hört er die Mitternachtsstunde vom Dorfe herüberklingen. Er richtet sich darnach, zieht kräftig den Rauch aus der Pfeife und geht dem Schalle der Glocke entgegen. Schon nach kurzer Zeit meldet ihm das linke Auge, daß das Ungeheuer zurückbleibt. Wieder schreitet er kräftig aus und lauscht! Es bleibt alle still. Er dreht sich um, der Spuk ist verschwunden! Harm zieht sein rotbuntes Taschentuch aus dem Kittel und streicht sich damit die dicken Schweißtropfen aus Haar, Gesicht und Nacken. Gott dank! Zwischen 12 und 1 Uhr, so recht in der Gespensterstunde, kommt er an die Tür des Pfarrhauses. Der alte Herr öffnet selbst und erschrickt fast vor dem matten, blassen und schweißtriefenden Harm. „Hett’ dit’ hatt’? Harm!“ sagte der Pastor. „Jo et hett mi hatt! Van näggen Uhr aff an bün ick upp’n Wegg wäst! Ick was ratz väbistert vör dat grujlicke Dink!“ antwortet Harm und trat ganz erschöpft in das Pfarrhaus ein. Sein erster Weg war nach dem Wassereimer. Dann trank er noch den erkalteten Kaffee bis auf den Boden der irdenen Kanne aus, so groß war sein brennender Durst. Kam er von dem guten, fetten Kucherpfannkuchen oder war er eine Folge des massenhaft vergossenen Schweißes? Selbst am nächsten Morgen war Harm noch nicht wieder in normaler Fassung und Stimmung. Wie ein  Alb lag es ihm auf Brust und Hals, das unheimliche Ding der verflossenen Nacht.

Nach dem Mittagessen stand der Pastor in Schaftstiefeln mit dem Stock in der Hand fertig und fordert Harm auf, seine Knopfgamaschen anzuknöpfen und den Kittel überzuziehen. Er wollte gern den Ort besichtigen, wo solche Ungeheuer sich in der Nacht breit machten. Harm knöpfte seine blauleinenen Gamaschen an, soweit die Knöpfchen noch vorhanden waren, denn gar viele der letzteren waren ihm bei den gewaltigen Sprüngen in der letzten Nacht verloren gegangen; dann zog er den blauen Kittel an und beide stampften durch den Schnee ins östricher Feld hinaus.

Harms Fußstapfen waren deutlich zu sehen und ihnen leicht zu folgen. Da – zwischen Buschgöte und Bakelbaum stand einsam ein großer Haufen Stoppelrüben, Knollen genannt. In einem Abstande von etwa 50-60 Schritten waren unendlich viele Fußspuren in einem Kreise um den Rübenhaufen. Sie alle stammten von Harms Zirkusrennen – springen – traben – und – laufen. – Selten hat der alte Herr lauter und heller gelacht, als hier am Spukort. Harm aber fühlte sich innerlich nach dieser Aufklärung zwar erleichtert, äußerlich aber war er sehr niedergedrückt und beschämt; daß ihm, dem Pferdeknecht des Pastors, dies auch gerade widerfahren mußte!

Das fatale Ende der Neujahrsfeiertage hat Harm selbst am Herdfeuer mir und anderen Jungen erzählt. Nun ruht er schon ungefähr 50 Jahren unter der Erde. Hätte ich ihn damals gefragt, ob ich die Spukgeschichte weiter erzählen dürfte, wenn mein Haar so weiß geworden sei, wie das seinige damals, so würde er gewiß mit seinem grauen Kopfe ein „Ja“ genickt haben. Den Familiennamen aber behalte ich einstweilen für mich.

So war die Neujahrskucherei im Zeitalter des blauen Kittels und der leinenen Knopfgamaschen, im Kreise der Familie und der nächsten Nachbarschaft, am flackernden Herdfeuer unter dem schwarzen Rauchfang aber umkränzt von einem „Richel“ mit blitzblanken, zinnernen Tellern und Schüsseln, ein lang ersehntes Erlebnis für alle. Ohne Zweifel ist sie aus der grauen heidnischen Vorzeit mit übernommen; denn auch die germanischen Vorfahren füllten die heiligen Nächte nach der Wintersonnenwende mit unzähligen Opfern und Gelagen aus. Manches hat sich im Laufe der Zeit verändert. Tief bedauerlich ist es, daß man den Mittelpunkt aller häuslichen Feste: da magisch flackernde Herdfeuer, nach und nach abgeschafft hat. Sind auch die Vorteile der prosaischen, eisernen Herde noch so groß, sie wiegen nie die Verluste auf, die an Poesie, Gemütlichkeit und gerader Einfachheit zu Grunde gehen. Mögen alljährlich immer mehr Herdfeuer den Neujahrskuchern entgegenwinken!

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Dieser Text wird mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des Urheberrechts als frei zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt werden dürfe. Alle Rechte liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich Lammersmann.