Plaggenmahd und Torfstich
von Hauptlehrer Heinrich Lammersmann 1931
X
Nach der Copia Protocolli abgehörter Vorsteher und Bauernrichter vom 6. September 1786 waren mit Genehmigung der 35 Bauern und 21 Markenkötter auch noch 29 Leute „geringerer Sorte“ zur Plaggenmahd und zum Torstich zugelassen, „soweit ihnen solches von den Interessenten der Mark gestattet würde“. Man begründete die Zulassung mit den Worten: „Diese geringere Sorte brauchten das Plaggenmahd, den Torfstich und auch den Weidegang“.

Plaggenmahd und Torfstich waren also Lebensbedingungen. Nach dem 30 jährigen Kriege und auch schon früher, hat man mit der Dreifelderwirtschaft (Winterfrucht – Sommerfrucht – Brache) das Feld derart heruntergewirtschaftet, daß es kaum noch Erträge lieferte. Der alte Humus war verbraucht, Dünger aus dem Stalle hatte man nicht, da die Tiere sich fast immer auf der Allmende befanden, ihre Zahl war klein und ihre Qualität sehr gering. Da griff man in der Not zu der Plaggenhacke.

Große Flächen Heide lagen rings um die Siedlungen. Wacholder und Ginster unterbrachen die braune Decke. Viele Schafherden hielten die Heide kurz und ließen keinen Sprößling irgendeiner Holzart aufkommen. Die Heide aber warf alljährlich ihre reichen Blütenknospen nach der Blüte auf die Erde, und so bildete sich nach und nach auf dem grauen Heideboden eine schwarze, klebrige Schicht, der Heidehumus; er sollte nun Retter der Landwirtschaft werden. Man schlug das Heidekraut mitsamt dem Heidehumus mit der Hacke vom Heideboden los, holte ihn als Einstreu nach Hause, mischte ihn im Stalle mit tierischem Dünger und brachte ihn in das hungrige Feld. Der Erfolg blieb nicht aus. Man empfing Ernten, wie man sie lange nicht mehr gehabt hatte. Nun war der Weg gewiesen. Die Heide wurde kahl wie eine Tenne und das Feld wurde erhöht durch die Plaggendüngung. Die Plaggenmahd blieb in Gebrauch auch nach der Aufteilung der Gemeinden bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts; das war die Plaggenmahd auf den hochgelegenen Heiden für die Einstreu und das Feld.

Noch eine andere Plaggenmahd kannte man. Mit ihr suchte man den nach dem 30 jährigen Kriege einsetzenden Mangel an Brennmaterial auf dem Herde zu beseitigen. Allerdings nicht alle Heiden gaben solche Plaggen. Nur die humusreicheren Moorheiden am Rande der Brüche waren dazu teilweise ergiebig. In diesen sumpfigen Oedflächen war die Heide nur spärlich; darunter war der Wuchs von sauren Gräsern und Moosen üppig. Feuchtigkeit und Dürre wechselten dort häufig, so daß die Humusbildung sehr gefördert wurde. Außerdem wurde in den flachen Mulden durch das Regenwasser noch die humusbildende Masse zusammengespült, so daß sich kohlschwarze Schichten von 2 bis zu 10 Zentimeter Stärke unter dem Pflanzenwuchse bildeten. Diese Schichten, die dem Torfe ähnlich waren, wurden nun von den Leuten mit einer Hacke bis auf den Rand in großen Plaggen abgeschlagen und umgekehrt, d.h. mit der Schnittfläche nach oben zum Trocknen hingeworfen. Hatte die Humusschicht etwa die Stärke von 5 Zentimeter, dann benutzte man auch wohl einen besonders dafür gemachten langen schmalen Spaten, um ziegelsteinförmige Brocken aus dem Boden zu stechen und dann an der Sonne trocknen zu lassen. Man nannte die Plaggen in Erle „Schadden“. Das „Schaddenmähen“ konnte nur stattfinden, wenn die Frühjahrssonne die Moorheide trocken gelegt hatte. Dann, zwischen Saat und Mahd, zwischen Johanni und Jakobi wurde die Moorheide belebt. Von allen Seiten zog man mit Plaggenhacken und Torfspaten in die Moorheide. In einem Korbe brachte man den Proviant – die Lebensmittel – für den ganzen Tag: Pfannkuchen, Eier und Butterbrote mit und richtete sich auf der Schaddenmahd recht wohnlich ein. Die Schaddenhütte wurde wieder aufgerichtet, damit man bei einem Gewitter Unterkunft fand und auch im Schatten sein Mittagsschläfchen ungestört halten konnte. Wenngleich die Arbeit recht anstrengend und schwer war, so nahm man sich doch in aller Ruhe soviel Zeit, daß es den Bauern eine Erholungszeit dünkte und alle sich auf diese Arbeit freuten wie auf ein Fest oder eine Vergnügungsreise. Es soll auch vorgekommen sein, daß eine Gruppe Hofbesitzer sich in der Moorheide trafen, die Körbe leerten und die Hacken in ihrem Verseck in Ruhe ließen, während die Karten hin- und herflogen. Ganz gewiß hat dann auch am Wege oder in der Nachbarschaft ein Wirtshaus gelegen, das für einen anregenden Trunk gesorgt hat. Warum sollte man sich auch beeilen? Auf dem Felde war alles bestellt – Hackfrüchte gab es kaum. Etwas Ruhe und Stärkung hatte man vor der Ernte just so notwendig, wie im Winter das Dreschen bis zum Frühjahr. Wenn das Wetter recht beständig trocken war, dann war man mit dem Schadden schon recht bald fertig. Nachdem sie einige Tage der Sonne ausgesetzt waren, wölbten und bogen sich die schwarzen Lappen und nur die bewachsenen Seiten, die man dem Boden zugewandt hatte, waren noch feucht. Gerade sie mit ihrem Gras- und Heidewuchs mußten „horntrocken“ sein, damit sie um so leichter Feuer fangen konnten. Damit nun die Plagge durch und durch trocknen konnte, ließ man sie durch Kinder auf den höher gelegenen Plätzen je zwei und zwei gegeneinander dachförmig aufstellen. So waren die Schadden nicht nur einseitig den Sonnenstrahlen, sondern auch dem Luftzuge ganz ausgesetzt. Bei günstigem Wetter wurden sie bald trocken und federleicht. Man holte sie mit dem Kastenwagen nach Hause und verpackte sie in die dunkle „Abseite“ des Schuppens. 

Die Hausfrau hatte nun ein geeignetes Material, das Herdfeuer lange in Glut zu halten. Sie legte über den Feuertopf einige Holzscheite oder auch Wurzelstöcke und ringsum richtete sie eine Wand von Schadden auf, Heide und Gras nach dem Feuertopf gerichtet, dann zündete sie das ganze an. Das Holz und die Heide flackerten schnell auf, der Humus aber schwelte nur und dämpfte die Flamme in etwa ab, entwickelte aber eine außerordentlich starke Glut. Stundenlang glühte ein solches Feuer in der Aschenmasse. Am Abend fegte man die Asche und Glut auf dem Feuertopf zusammen und bedeckte das Häuflein mit einer eisernen Trommel. So bannte man die Feuersgefahr, und am anderen Morgen fand man immer noch genug Funken, um neues Feuer zu entfachen und das Schwefelholz zu ersparen. Auch in den weitbauchigen Oefen brannte man Schadden neben Holzkloben. Die Schadden wurden in diesem Falle aber meist in kleinere Stücke zerschnitten. Der unangenehme Geruch und die große Menge staubiger Asche behinderten die Leute nicht. Die Asche war als Wiesendünger sehr geschätzt und wurde in hohlen Baumstämmen wie in Tonnen bis zum Frühjahr aufbewahrt und dann ihrem Endzwecke zugeführt. Das „Schaddenschott“ durfte jedenfalls nicht eher leer werden, bis die Bauern sich zur neuen Mahd in der Moorheide wieder zusammenfanden und für neue Anfuhr sorgten.

Der Torfstich verlangte schwere Arbeit. Er konnte nur dort getätigt werden, wo die Moorschicht eine Stärke von 1 ½ bis 2 Zentimeter erreicht hatte. Dies war nur teilweise unter den Moorwiesen des Tinnen- und Erlerbruchs der Fall. Man ging hier recht ökonomisch vor und nahm jährlich eine Streifen von 1 bis 1 ½ Meter von der Wiese vor und erweiterte die alten Gruben, die sich schon wieder mit Wasserpflanzen bedeckt hatten, um eine solchen Streifen. Juni und Juli war die rechte Zeit. Zunächst stach man mit dem Torfspaten ziegelsteinähnliche Brocken von der Grasnarbe senkrecht ab und breitete sie auf der Wiese aus, damit sie von den Sonnenstrahlen und dem trockenen Winde vom Wasser befreit wurden. Hatte man so die obere Schicht entfernt, so stieg man in die Grube und dämmte von dem Standorte das überflüssige Wasser ab. Mit nackten Füßen stand der Torfstecher nun in einem schwarzbraunen Schlamm in der Grube, den heißen Sonnenstrahlen und den zahllosen Mücken ausgesetzt. Die Moorschicht wurde mit einer Hacke losgehackt, so daß die Brocken unten in die Grube kollerten. In der Grube wurden die Brocken mit der Hacke oder einer Gabel zerbröckelt und zertreten. Es wurde dann soviel Wasser hinzugelassen, daß ein dickflüssiger Brei entstand. Dieser Torfbrei war erst dann fertig, wenn er keine Torfklumpen mehr enthielt, sondern wie tiefbrauner Mörtel sich zeigte. Das war schwere Arbeit, die zähen Torfmatten so zu zerkleinern. War es erreicht, dann schöpfte man den Torfbrei mit einer löffelartigen Schaufel aus dem Loche auf die nebenanliegende Grünfläche. War das Torfloch tief, so war man gezwungen, den Torfbrei in Kastenschiebkarren über Bretter hinauszufördern. Auf der Wiese wurde der Brei etwa 10 Zentimeter dick gleichmäßig ausgebreitet. Wie lange Gartenbeete lagen dann die dunklen Torbreikuchen auf der grünen Wiese. Man mußte so oft in die Grube steigen und neuen Torfbrei bereiten, bis der Vorrat für die Haushaltung langte. War nun günstiges, trockenes Wetter, dann nahmen Luft und Sonne recht bald viel Wasser aus dem Torfbrei fort, anderes sickerte auch in die Wiese. Die Flüssigkeit verschwand und der Torf fing an, steif zu werden. Nun wurde es Zeit, die großen Kuchen in Stücke zu zerschneiden, die in Form und Größe dem Ziegelstein ähnlich waren. Man gebrauchte dazu ein Messer an einem langen Stiel, vielfach war nur ein Holzmesser, damit schnitt man den großen Kuchen bis auf das Gras in lauter kleine Rechtecke. Die Schnitte mußten offen stehen bleiben, auch sie gaben nun Luft und Sonne neue Angriffsflächen zum Trocknen. Schon nach einigen Tagen waren die Torfbrocken so fest zusammen getrocknet, daß man sie als eine feste Masse von der Wiese aufheben und wenden konnte, damit auch die untere Seite von der Sonne bestrahlt wurde. Diese Arbeit hatten meisten die Kinder zu besorgen. Die Torfe blieben also einzeln umgedreht auf der Wiese liegen und verloren bei günstigem Wetter schon den größten Teil ihres Wassers. Doch der Torf mußte ganz trocknen und federleicht sein, wenn er gut brennen sollte. Um dies zu erreichen, setzt man ihn in spitze Haufen, so daß man immer Lücken zwischen den einzelnen Stücken ließ und so die Vertreibung des Wassers vollständig wurde. Ein Umhäufeln erfolgte noch, um die Torfstücke vom Boden an die Luft zu bringen. Die Torfernte war also außerordentlich vom Wetter abhängig. Bei beständigem Wetter erfolgte sie rasch, bei unbeständigem Wetter war sie überhaupt in Frage gestellt. Wenn aber der Landwirt einige Fuder schwarzen oder harten Torf hereingebracht hatte, dann fühlte er sich für den kommenden Winter geborgen.

Im Verein mit dem Schlagholz von den alten Kampwällen genügten Schadden und Torf vollständig, das Feuer auf dem Herde und im Ofen zu unterhalten. Manche Bauern verkauften auch noch einige Fuder in die Stadt und lösten harte Taler dafür ein. So blieb es viele Jahrhunderte. Wenn fremde Kriegsvölker über den Rhein aus Spanien oder Frankreich in unsere Heimat kamen, so schlugen sie die Hände zusammen und riefen: „Das ist ein verteufeltes Volk, das verbrennt Gottes Erdboden!“

Auch nach Aufteilung des gemeinsamen Grundbesitzes 1842 und 1843 blieb man der Torf- und Schaddengewinnung treu. Regelmäßig genoß man die Zeit zwischen Saat und Mahd auf der moorigen Heide. Schiller sagt mit Recht im Spaziergang vom damaligen Bauern:
„Glückliches Volk der Gefilde! Noch nicht zur Freiheit erwacht,
Teilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz.
Deine Wünsche beschränkt der Ernten ruhiger Kreislauf,
Wie dein Tagewerk, gleich, windet dein Leben sich ab!“

Als aus dem tiefen Schoß der Erde die Steinkohle herausgeholt wurde, da war es mit der Plaggenmahd und dem Torfstich vorbei. Vorbei war es aber auch mit dem geruhsamen Betriebe der Landwirtschaft. Eine neue Zeit verlangte von dem Bauern neue hohe Aufgaben. Es sollte Maschinist, Chemiker und Kaufmann werden. Man braucht sich nicht zu wundern, daß viele die alte Zeit der Plaggenmahd in der ruhigen Sommerheide zurückwünschten. Sie wird wohl niemals in der alten Form wiederkehren. Die Moore sind entwässert und die Heiden kultiviert und aufgeforstet. Der Torfspaten bleibt verrostet und vergessen in seiner Ecke, und seine Form und sein Gebrauch wird vergessen.

X
Dieser Text wird mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des Urheberrechts als frei zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt werden dürfe. Alle Rechte liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich Lammersmann.