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Wer es nicht weiß, der wird, auch wenn er mit offenen Augen heutzutage durch Erle und die Östrich spaziert, nicht erkennen können, dass unser Dörfchen in Kalten Krieg zwischen 1965 und 1983 ein potentielles Erstschlagziel bei einer Invasion durch Armeen der Warschauer-Pakt-Staaten war. Unglaublich, aber wahr. Denn in Erle waren Truppen der US-Army und der NATO stationiert, die in eine Flugabwehrraketen-Batterie betrieben haben. Diese war ein Teil eines multinationalen NATO-Luftverteidigungsgürtels zur Vernichtung von feindlichen Kampfflugzeugen oder Bomberverbänden. Dazu waren sogar nukleare Sprengköpfe in Erle gelagert. 

Aus dieser Zeit sind kaum noch Zeugnisse übrig und auch die Erinnerungen an diese knapp 20 Jahre verblasst im kollektiven Bewusstsein. Damit auch die Generation U40 ein wenig von dieser Zeit erfährt, habe ich mich durch die wenigen noch auffindbaren Dokumente gearbeitet. 

Bei der Recherche hat sich herausgestellt, dass es noch verhältnismäßig viele Informationen über die Zeit der niederländischen NATO-Truppen zu finden gibt, aus der Zeit der Belgier leider so gut wie gar nichts. Viele Homepages sind nicht mehr vorhanden und über Erle speziell habe ich auch keine Zeitzeugen etc. ausfindig machen können. Das gleiche gilt für die amerikanischen Streitkräfte, die während der Zeit der Niederländer in Erle stationiert waren. 

 

Beachten Sie bitte:
Das unbefugte Betreten sämtlicher Grundstücke, auf denen früher die drei Teile der NATO-Batterie zu finden waren, ist strengstens verboten. Technische Überreste sind auf keinem der drei Standorte zu finden, die Bodenbauwerke und die Bebauung sind zum größten Teil zurückgebaut worden. Alle drei Anlagen sind im Privatbesitz oder im Besitz der Gemeinde und sind immer noch durch die gleichen Zaunanlagen wie damals geschützt. Respektieren Sie bitte das Eigentum der Besitzter.

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Übersicht

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag die Lufthoheit über dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht bei den Deutschen sondern bei den Alliierten. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, zu Beginn des Kalten Krieges also, entwickelte sich eine neue Bedrohungslage, die nicht mehr von den Deutschen ausging, sondern von den Staaten des Warschauer Paktes. Die Überwachung und die Reaktion auf die Verletzung des West-Europäischen Luftraumes hatte von nun an Priorität. 

Darum hatte sich die NATO dazu entschieden, vor dem "Eisernen Vorhang", also vor den Grenzen der Warschauer-Pakt-Staaten, einen Gürtel sich überlappender FlaRak- (Flugabwehr Raketen) Stellungen anzulegen. Dieser Gürtel reichte von Norwegen bis in die Türkei. Die Wahl der Waffensysteme viel auf das US-System "NIKE/Hercules" und wurde später durch das System "HAWK" ergänzt. Bezeichnet wurde dieser Gürtel als "NATO Airdefence Belt".

Da Flugzeuge erst nach dem Eindringen in den Luftraum der NATO, dass heißt erst nach dem Überfliegen der Grenzen zu den Warschauer-Pakt-Staaten als feindliche Ziele identifiziert werden konnten und Ausgehend von der Forderung, das diese Ziele so schnell wie möglich bekämpft werden sollten, ergab sich die Notwendigkeit, die NIKE-Batterien soweit westlich zu stationieren, dass die Reichweite der
NIKE/Hercules-Raketen voll ausgenutzt werden konnte. So wurde der 1. Gürtel mit NIKE-Batterien im Abstand von rund 150km zur Zonengrenze installiert, der 2. Gürtel ungefähr 50km dahinter, um etwaige Lücken zu schließen und um die Überlappung der Wirkungszonen der einzelnen Batterien zu gewährleisten, was die Mehrfachbekämpfung von Zielen erlaubte. Untereinander hatten die einzelnen Batterien einen Abstand von 40 bis 60 Kilometer.

Die NIKE-Batterien in Deutschland wurden von der Bundesluftwaffe sowie der niederländischen und belgischen Luftwaffe, der amerikanischen US-Army und am Anfang für kurze Zeit auch von der französischen Luftwaffe betrieben, die jeweils einen bestimmten Sektor zugewiesen bekommen haben. Ein Angreifer hätte bei einem Angriff auf die NATO-Staaten diesen Gürtel mit konzentrierter Abwehr und nuklearer Bestückung überwinden müssen. Die NIKE-Verbände sollten in durchgehender 24h-Bereitschaft gehalten werden. Da der Wirkungsbereich der NIKE/Hercules auf mittlere bis großer Höhe beschränkt war wurde der Gürtel durch das Waffensystem HAWK für die Bekämpfung niedrig und tiefst fliegender Flugzeuge ergänzt.

Im Jahre 1960 wurde der damalige Erler Bürgermeister Hubert Menting über die geplante Errichtung der NIKE-Batterie in Erle unterrichtet. Der Wiederstand der Gemeinde Erle auf die geplanten Standorte im Ort war heftig. Die vorgebrachten Argumente über die potentielle Gefährdung der Bevölkerung durch die Nähe zu der Wohnbebauung hin, die Zerstörung wertvollen Erholungsraumes und wertvoller Ackerfläche fruchteten nicht. Nach 1961 ging dann alles ganz schnell, die Grundeigentümer Johannes Böckenhoff, Bernhard Böckenhoff und die Gewerkschaft Augustus wurden kurzerhand enteignet und am 8. Februar 1965 war die NIKE-Batterie in Erle einsatzbereit.

In Erle waren von 1965 bis 1975 das 221e Squadron der Königlichen Niederländischen Luftwaffe (Squadron 221 B, 2. Groep Geleide Wapens) stationiert. Erle war eine von den vier NIKE/Hercules-Batterien der 2. Gruppe des Geschwaders 221 B, der Stab befand sich in Schöppingen, die beiden anderen Batterien in Nordhorn und Bad Essen. Von 1975 bis 1983 war das 57. Raketengeschwader der belgischen Luftwaffe (D-Battery 9th MSL Btn Belgium SQN57) bei uns stationiert. Das in der Zeit der Niederländer US-Amerikanische Truppen (B-Team, 508th US Army Artillery Detachment) in Erle stationiert waren, war ein offenes Geheimnis. Offiziell waren sie zur Wartung und Instandhaltung des US-Waffensystems vor Ort. In Wirklichkeit haben diese Truppen die Nuklearsprengköpfe von Typ W31 bewacht und im Ernstfall auch die Raketen damit bestückt und scharf gemacht. Nach einer Inspektion 1975 der von den belgischen Truppen übernommenen Batterie hat die US-Army es allerdings aus Sicherheitsgründen abgelehnt, die Erler NIKE/Hercules-Batterie unter dem Kommando der Belgier weiterhin mit US-Kernsprengköpfe auszustatten.

Der NIKE-Batterie hat unser Dörfchen es auch wohl zu verdanken, dass wir uns bis in die 80er Jahre hinein in einer Tiefstflugzone befanden, in der Militärjets bis auf 75m über Grund mit Überschall fliegen durften. Natürlich hat man damals damit die Radaranlagen getestet und die Unterfliegung der selbigen ausgiebigste geübt. Jeder Erler, der in dieser Zeit jeden Tag mehrmals den Lärm der überfliegenden Flugzeuge (in Wirklichkeit war es ein sehr lauter Knall, der aus dem Nichts und ohne Vorwarnung kam) mitbekommen hat wird bestätigen können, das man sich in all den Jahren daran nicht gewöhnt hat. Ich kann mich noch erinnern, dass bei jedem Überflug die Gläser in den Schränken meiner Eltern klirrten.
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Das Waffensystem
Bereits 1945 begann die US Armee damit, den Vorgänger der in Erle stationierten NIKE/Hercules-Raketen zu entwickeln und zu testen. Im März 1954 wurden dann die ersten regulären Einheiten mit dem Namen NIKE/Ajax in den USA stationiert. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt wurde das Nachfolgemodell NIKE/Hercules bereits getestet und schon vier Jahre später offiziell in Dienst gestellt. Die Hauptunterschiede waren die wesentlich größerer Reichweite der NIKE/Hercules und die Fähigkeit, sowohl konventionelle als auch nukleare Sprengköpfe zur Vernichtung auch größerer Bomberverbände in großen Höhen zu tragen. Im Gegensatz zu konventionellen Sprengköpfen, die auf Splitterbasis funktionierten, und wahrscheinlich nur der feindliche Atombomber vernichtet hätten, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die mitgebrachte Atombombe. Diese wäre trotz der erfolgreichen Zerstörung des Bombers trotzdem noch durch den integrierten Zünder, der bei einer bestimmten Höhe auslöste, explodiert. Der W31-Kernsprengkopf, der wahlweise verschiedenen Sprengkraftäquivalente zwischen 2 und 40 Kilotonnen TNT (Hiroshima-Bombe 12.5 Kilotonnen TNT) entfalten konnte, sollte die Flugzeuge im näheren Trefferkreis vollständig und inklusive der Atom-Bomben zerstören und die Flugzeuge in weitere Entfernung zum Absturz bringen. Später konnte die NIKE/Hercules durch Modernisierungsmaßnahmen auch Kernsprengköpfe auf Bodenziele abfeuern. Die Kernsprengköpfe waren Eigentum der USA und wurden ausschließlich von der US Army bewacht und im Ernstfall auch installiert.

NIKE/Hercules war von der Konzeption her ein mobiles, zweistufiges Boden-Luft-Lenkwaffensystem, aber es stellte sich bei Tests heraus, dass sie auch für Boden-Boden-Einsätze verwendet werden konnte. Dabei stellte man fest, dass es sogar die höchste Zielgenauigkeit im Vergleich der damaligen Boden-Boden-System aufweisen konnte. Dem damaligen Stand der Technik entsprechend war NIKE/Hercules ein FlaRak-System mit Kommandolenkung, was bedeutet, dass der Flugkörper (also die Rakete) vom Boden aus per Raketenführungsradar gesteuert werden musste.
Das "mobil" beschränkte sich allerdings auf "verlegbar", den so richtig mobil war das Waffensystem nicht. Es wurde in ausgebauten Stellungen installiert. Diese waren überall fast gleich aufgebaut und umfassten in der Regel drei Liegenschaften


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Funktionsweise
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Ein in den Luftraum einfliegendes Flugzeug wird durch das LOPAR entdeckt und durch das IFF/SIF-Gerät als feindlich erkannt. Das TTR (Target Tracking Radar) folgt nun diesem Flugzeug und gibt die Flughöhe, die Richtung und den Abstand an den Computer weiter. Das TRR (Target Ranging Radar) folgt dem Ziel auch und ermittelt den Abstand aber umgeht evtl. feindliche Störsignale. Der Computer berechnet nun anhand der Daten den Abfangpunkt und auf der LA wird die Rakete gestartet. Das MTR (Missile Tracking Radar) folgt der gestarteten Rakete. Nach vier Sekunden wird die nun ausgebrannte 1. Stufe abgeworfen. Ab jetzt wird die 2. Stufe vom MTR mit Steuerkommandos zum Abfangpunkt gesteuert. Am Abfangpunkt wird der Sprengkopf zur Detonation gebracht und das feindliche Flugzeug durch eine Splitterexplosion zerstört. Ganze feindliche Bomberflotten, die mit Atombomben bestückt wären, wären mit Kernsprengköpfen angegriffen worden.

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Technische Daten 
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Lenkwaffe: 
Typ: Mobiles Boden-Luft-Lenkwaffensystem / Boden-Boden-Lenkwaffensystem
Hersteller: Western Electric, Bell Laboratories, Douglas Aircraft Company (Alle USA)
Start der Entwicklung: 1952
Indienststellung: 1955
Länge: 12,53m
Durchmesser: 1. Stufe 80cm, 2. Stufe 53cm
Gefechtsgewicht: 4850kg
Spannweite: 1. Stufe 350cm, 2. Stufe 180,3cm
Antrieb: 1. Stufe: Hercules M42 Feststoffbooster, 2. Stufe: Thiokol M30 Feststoff Raketentriebwerk
Geschwindigkeit: Mach 3,65 (ca. 4470 km/h)
Reichweite: minimal 6km bis maximal 140km, Gipfelhöhe 46km
Zielortung: Radar (mit Kommandolenkung des LFK)
Gefechtskopf: 272kg Splittergefechtskopf oder Kernsprengkopf W31
Zünder: Näherungs- oder Aufschlagzünder
Plattform: Ortsfeste Raketenstellung
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LOPAR Low Power Acquisition Radar:
Reichweite: 228600m (Pencil beam) oder 160020m (Cosecant square)
Frequenz: S-Band (3100-3500 MHz)
Leistung: 1 MW
Rotationsgeschwindigkeit: 5 / 10 / 15 rpm
Puls: 1,3 µsec
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TTR Target Tracking Radar:
Reichweite: 182880m
Frequenz: X-band 8.5-9.6 GHz
Leistung: 200kW (SP) 142kW (LP)
Puls: 0.25µsec (SP) 2.5µsec (LP)
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TRR Target Ranging Radar:
Reichweite: 182880m
Frequenz: Ku-Band 15.7-17.5 GHz
Leistung: 125kW 
Puls: 0.25µsec (SP) 2.5µsec (LP)
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MTR Missile Tracking Radar:
Reichweite: 182880m
Frequenz: X-band 8.5-9.6 GHz
Leistung: 159kW
Puls: 0.25µsec


Der Feuerleitbereich (IFC) 
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Oder Integrated Fire Control (IFC) genannt. Hier waren die Feuerleit-, Radar- und Fernmeldegeräte unt
ergebracht. Der Feuerleitbereich der Erler Batterie lag direkt an der Rhader Straße (K13). Von der Straße aus konnte man nur den ca. 6m hohen Erdwall sehen, auf dem die auffälligen Radar-Anlagen standen sowie das Haupttor, das Wachhäuschen und die Unterkunft der Soldaten. Außerdem war noch die Radar-Prüfantenne zu sehen. Alles andere verbarg sich hinter weiteren Erdwällen. 

In der Mitte dieser Erdwälle umstanden einen überdachten, viereckigen Hof drei mobile Container, die u.a. die Computer und die gesamte andere Elektronik enthielten. Ein paar Meter weiter stand ein massives Gebäude mit dem, ebenfalls mobilen Stromgeneratoren. Auf dem an der Krone 100m langen, 6m hohen Erdwall standen das LOPAR Zielsuch- und Erfassungsradar, das MTR Raketenlenkung- und -begleitungsradar, das TTR Zielbeleuchtungs- und -begleitungsradar, das TRR Zielentfernungsradar und das IFF/SIF-Gerät für die Freund-Feind-Erkennung. Feindliche Flugzeuge wurden von LOPAR und IFF erkannt und dessen Kurs vom TRR und TTR verfolgt. Das MTR führte die NIKE-Rakete dann schließlich zu ihrem Ziel. Zum Selbstschutz gegen Tiefflugangriffe gab es eine Vierlingsflak,  Wachhunde sowie die Bewachung durch die Soldaten selber. Am östlichen Ende stand eine Testantenne zur Kalibrierung der Radaranlage, eine große Funkantenne stand direkt hinter der Unterkunft der Soldaten. Dazwischen lag ein Hubschrauberlandeplatz.

Der Feuerleitbereich hatte eine Größe von ca. 29000m² und der ca. 2,50m hohe Hauptzaun aus Draht mit einer NATO-Drahtkrone war ca. 740m lang. Heute ist das Gelände komplett zurückgebaut worden. Einen drastisch verkleinerten Teil nutzt heute ein Hundesportverein, der Rest wurde wieder zu landwirtschaftlicher Nutzfläche kultiviert. Ein Betreten des privaten Geländes ist nicht gestattet.
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Rechts das Haupttor, daneben das Wachhäuschen, rechts das Hauptgebäude mit der Funkantenne dahinter
Foto: Cees Steendijk, mit freundlicher Genehmigung

Blick in Richtung Rhader Straße. Zusehen ist der Radarhügel, links die mobilen Radartechnikcontainer und die Funkantenne.
Foto: Cees Steendijk, mit freundlicher Genehmigung
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Der Abschussbereich (LA)

Oder Launcher Area (Launch Area) (LA), bei uns im Dorf einfach Raketenstartplatz genannt. Diese zweite Liegenschaft der Erle NIKE/Hercules-Batterie lag in der Erler Holzheide (im Naturschutzgebiet Trockenheide in der Üfter Mark) am südlichsten Ende der Bauerschaft Östrich, exakt 1723m vom Feuerleitbereich entfernt und durch dichte Nadelwälder von Blicken gut geschützt. Selbst wenn man am Anfang der über einen Kilometer langen Zufahrtsstraße stand konnte man als Ortsfremder nicht sehen, was sich am Ende der Straße verbirgt. Dabei lag der Abschussbereich nur ca. 400m von der Bundesstraße 224 entfernt..
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Blick von der Zugangsstraße in Richtung des Aufenthaltsgebäudes für die Soldaten nahe dem Haupteingang. Erstellt in den 80er Jahren nach dem
Abzug der NATO.
Foto: Jürgen Dreifke, mit freundlicher Genehmigung

Blick von der Zugangsstraße in Richtung Sektion Charly. Man kann das Dach der Raketenhalle über dem Erdwall erkennen.
Erstellt in den 80er Jahren nach dem Abzug der NATO.
Foto: Jürgen Dreifke, mit freundlicher Genehmigung
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Blick von der Zugangsstraße in Richtung Sektion Charly. Man kann das Dach der Raketenhalle über dem Erdwall erkennen.
Ganz links sind noch so eben die alten Holzwachtürme für den durch amerikanische Truppen geschützten Bereich zu erkennen.
Foto: Jürgen Dreifke, mit freundlicher Genehmigung

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Wenn man diese gut ausgebaute Zufahrtsstraße bis zu ihrem Ende folgte, endete man zwangsläufig vor dem Haupttor mit dem Wachhäuschen. Und von außen war außer dem 1300m langen, ca. 2,50m hohen Drahtzaun mit NATO-Drahtkrone nicht viel zu sehen. Hier und dort konnte man mit Tarnanstrich versehene Hallen sehen, die über niedrige Erdwälle hervorstanden. Ansonsten konnte man nur dichten Baumbewuchs und viele Erdwälle erkennen.

Auf der Launcher Area (LA) befanden sich neben den Gebäuden für die Soldaten noch mehrere Montagehallen, ein Hubschrauberlandeplatz und drei Abschusssektionen, Alpha, Bravo und Charly genannt. Jede Sektion bestand aus dem Startplatz, der an drei Seiten von einem Erdwall umgeben war und einer Raketenlagerhalle zur Lagerung der fertig montierten Lenkflugkörper. Auf dem Startplatz gab es drei Abschussgestelle, unter denen jeweils eine Stahlwanne in den Boden eingelassen war. Diese dienten dazu, den Startplatz vor Schäden durch den Raketenstart zu bewahren. Die Raketen wurden per Hand auf einem Hochschienensystem aus der Halle geschoben und auf den Startgestellen in fast senkrechter Position aufgerichtet. Da die erste Stufe der NIKE/Hercules, der Feststoffbooster, nicht lenkbar war, ist die Startneigung der Rakete immer gleich gewesen. Die leichte Neigung resultiert aus dem Anspruch, dass die ausgebrannte 1. Stufe nach der Trennung von der 2. Stufe nicht auf die LA zurückfallen sollte. In dem umgebenen Erdwall war auch ein Bunker angelegt, in der die sogenannte Section Control Group die Flugkörper in der letzten Startphase überwachen sollte. Hinter diesem Bunker stand oberirdisch ein weiteres Stromgeneratorenhaus. In jeder Raketenlagerhalle lagerten 9 Raketen, das macht 27 Raketen insgesamt für die Erler Batterie. Mindestens 18 Kernsprengköpfe waren ebenfalls hier gelagert. Drei Raketen konnten pro Sektion auf einmal aufgestellt werden, aber nur eine einzige Rakete konnte von der damaligen Computertechnik ins Ziel gelenkt werden, so dass die Raketen immer nacheinander hätten gestartet werden müssen.X
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1965-1975. Blick auf über die Hauptkreuzung hinweg auf das innere Tor und die Secure Area der US-Army. Rechts neben dem Baum ist ein Wachturm zu erkennen. Die "Schiene" im Vordergrund sind
geschützte Leitungen.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

1964: Die niederländische Bedienungsmannschaft auf einem Startgestell in der Sektion Alpha, dahinter der Erdbunker der Section Control Group.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.
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Gleich hinter dem Tor lag also auf der rechten Seite das Wachhäuschen der Niederländer oder Belgier dicht gefolgt von einem Gebäude mit Kantine und sanitären Anlagen für die Soldaten. Dem Gegenüber auf der linken Seite der Straße stand der LCT, der Launch-Control-Trailer. Dieser war mit einem Erdkabel direkt mit der IFC an der Rhader Straße verbunden. Von diesem LCT wären die Abschussbefehle gegeben worden. Danach befand man sich auf einer Kreuzung. Wenn man sich nun nach links wandte sah man auf der linken Seite das Generatorhaus für die mobilen Stromgeneratoren. Schräg gegenüber stand die Raketenmontagehalle. Folgte man nun diesen Weg rund 125m weiter kam man an einen überdimensionierten Wendehammer in Form einer 0 aus. An diesem lag die Gefechtskopfmontagehalle. Lief man den Weg zurück konnte man durch die Bäume noch das Chemical Depot erkennen. Zurück auf der Kreuzung angelangt konnte man nun geradeaus gehen und lief damit direkt auf den dreieckigen Hubschrauberlandeplatz zu. Der Weg teilte sich an der Spitze des Helipad und verlief dann beidseitig um den Platz herum. Die Hypotenuse des Dreiecks wurde durch einen rund 50m langen Erdwall gebildet. Dahinter lag dann die Abschusssektion Charly. Hier wurden nur konventionelle Splittersprengköpfe verwendet und die Sektion wurde auch zum Training genutzt, hier durften auch Wehrpflichtige eingesetzt werden.
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1965-1975. Eine NIKE/Hercules wird per Hand über das Hochschienensystem eine der drei Raketenhallen geschoben
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

1965 bis 1975: Eine der drei Abschuss-Sektionen auf der Launcher Area, im Hintergrund die geschlossene Raketenhalle.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.
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Folgte man dem Weg jetzt weiter kam man auf der anderen Seite des Helipads wieder zurück zur zentralen Kreuzung. Bog man rechts ab stand man nach einigen Metern vor dem Tor des inneren Zaunes (der auch mit hölzernen Wachtürmen versehen war) und dem Wachhäuschen der Amerikaner. Dieser ca. 800m lange Zaun umschloss die Secure Area, diesen Bereich durften nur berechtigte Personen betreten, die Eingangskontrolle wurde durch amerikanische Soldaten geregelt. Innerhalb dieses Bereiche lagen die Sektionen Alpha und Bravo, von beiden Sektionen konnten Raketen mit Kernsprengköpfen verschossen werden, sie lagen also unter verschärfter Bewachung durch US-Truppen. Der Weg gabelte sich nach rund 100m wieder und verlief um ein 6000m² kleinen, dichten Wald. Wenn man der rechten Gabelung folgte kam man dann zur Sektion Bravo. Der Aufbau der war exakt identisch mit der Alpha-Sektion. Sobald man das Waldstück umrundet hat kam auch schon die Alpha-Sektion in Sicht. Auch hier fand man den exakt gleichen Aufbau wie bei Bravo und Charly vor, nur war Alpha spiegelbildlich angeordnet. Sobald man an Alpha vorbei war ging es auch schon wieder zum inneren Tor. Der innere Bereich wurde auch von Wachhunden gesichert..
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1965-1975. Prinz Bernhard der Niederlande zu Besuch in Erle
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

1965 bis 1975: Prinz Bernhard inspiziert die Raketen.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

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Die Launcher Area wies eine Gesamtfläche von ca. 100000m² auf, das befestigte Wegenetz innerhalb des Hauptzauns war ca. 1,5km lang. Zum Eigenschutz gab es nur den Hauptzaun, die Wachen und auf dem ganzen Gelände verteilte MG-Nester. Der Wald um den Hauptzaun herum war nicht mal großartig gerodet worden, er reichte teilweise bis 15m an den Hauptzaun heran. Um das Gelände selber führe ein öffentlicher Waldweg und auch die Zufahrtsstraße konnte an zwei Stellen von öffentlichen Wegen erreicht werden. In den 1980er Jahren wurde das Gelände der LA noch mehrfach bei NATO-Manöver kurzzeitig von NATO-Truppen als Basis genutzt..
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1965-1975. LCCO-Bedienpult im Launch Control Trailer.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

Hans Pleijsier LCCO an seinem Arbeitsplatz.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

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Heute ist das Gelände in Privatbesitz und wird landwirtschaftlich genutzt. Bis auf eine Halle und ein paar kleineren Gebäuden sind keine oberirdischen Anlagen mehr zu sehen. Ein Betreten des privaten Geländes ist nicht gestattet. Die LA wurde 1995 unter Naturschutz gestellt, da sich dort besonders wertvolle, magere Trockenheide- und Rasenflächen befinden.
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1965-1975. Alle drei Raketen in verschiedenen Phasen der Aufstellung in der Bravo-Sektion.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

Auch tödliche Waffen müssen augenscheinlich mit Handwäsche sauber gehalten werden.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.
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Der Kommando- oder Stabs-Bereich
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Am südlichsten Ende von Erle entstand mit einer Entfernung von ca. 1200m vom IFC-Bereich und 1700m von der LA entfernt der Bereich für den Stab der Erler Batterie samt Unterkünften, Sozialgebäude und Werkstätten sowohl für die Niederländer und Amerikaner, später für die Belgier komplett alleine. Der heute noch weit sichtbare Beton-Fernsehturm wurde von den Belgiern gebaut. Damit wurde u.a. belgisches Fernsehen und Radioprogramm empfangen. Auch dieser Bereich war komplett mit dem schon bekannten ca. 2,5m hohen Drahtzaun mit NATO-Drahtkrone umgeben, hier mit einer Länge von ca. 900m.
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1965-1975. Appell vor dem Flaggenmast. Im Hintergrund die Bürogebäude der Batterie.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

Haupteingang mit Tor, links das Wachhäuschen, dahinter die Werkstatt (mit Schornstein), rechts die Lobby und ganz hinten zwei der drei Mannschaftsquartiere.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

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Stand man vor dem Haupttor lag gleich rechter Hand das Wachhäuschen. Fast gegenüber auf der rechten Seite stand das Gebäude, das zur Zeit der Niederländer von der US-Army als Unterbringung für die Soldaten, Küche, Kantine und für Sozialräume genutzt wurde. Ging man die Hauptstraße weiter lag nun wieder auf der linken Seite ein Gebäude mit einer Werkstatt und KFZ-Garagen. Dem gegenüber lag ein kleiner Parkplatz für die Offiziersdienstgrade. Von diesem konnte man weiter in die Offiziersmesse gehen, die in einem eigenen Gebäude untergebracht war. Hinter diesem Parkplatz stand das größte Gebäude der Anlage. Dort war die Mannschaftskantine ("de Heksenketel" und "het Pumpke"), die Unteroffizierskantine, die Unteroffiziersmesse, eine Bühne und ein kleiner Laden, wo Mitglieder der NATO steuerfreie Waren kaufen konnten,
 untergebracht.
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1965-1975. Blick von einer Mannschaftsunterkunft auf das Haupttor, links die Bürogebäude, rechts der Flaggenmast und die Kantine, hinten links die Werkstatt mit Schornstein.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

Kantine für die Mannschaftsdienstgrade.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

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Die Hauptstraße endete schließlich auf dem Exerzierplatz mit dem Fahnenmast. Dem Platz auf der rechten Seite gegenüber standen die Büroräume des Standortkommandanten. Stab, Verwaltung, Telefonzentrale und militärärztlicher Versorgungsbereich waren hier untergebracht. In der Nähe des Platzes lagen auch die drei Mannschaftsunterkünfte für rund 100 Soldaten. Je 8 Soldaten pro Kammer. Duschen und Toilette lagen auf dem Flur neben den jeweiligen Haupteingängen der Gebäude. Komplettiert wurde das Areal durch das PMT (Protestant Militair Tehuis), also dem evangelischen Soldatenheim, das den Soldaten u.a. für Freizeitaktivitäten offen stand und der "Princes-Margriet-School", der Grundschule für die Kinder der in Erle wohnenden Niederländer. Sowohl das PMT als auch die Schule wurden nicht vom Hauptzaun umschlossen.
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1965-1975. Die Unteroffiziersmesse.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

Blick in die Großküche der Niederländer.
Foto: VCE, mit freundlicher Genehmigung durch Hans Pleijsier.

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Die Gesamtfläche des Kommando-Bereichs betrug ca. 42000m². Um dieses Areal herum entstanden mehrere Reihenhaussiedlungen, in denen niederländische und belgische Soldaten zusammen mit ihren Familien wohnten. Alleine 80 Wohneinheiten wurden Anfang 1980 an die belgischen Truppen übergeben. Nach dem Abzug der Belgier 1983 stand der Kommando-Bereich lange Zeit leer und wurde durch Vandalismus und natürlich auch durch die nicht mehr vorhandenen Pflege schnell zu einer Ruine. 1989 wurden die Gebäude wieder hergerichtet und als Übergangslager für deutschstämmige Spätaussiedler aus der Sowjetunion und Polen verwendet. Von 1992 bis 1995 wurde daraus dann ein Asylbewerberheim für Menschen aus Afrika, Asien und Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ab 1994 richtete das DRK ein Migrationszentrum für Spätaussiedler ein. 2009 wurden dann auf dem Bereich sämtliche Bauten abgerissen. Heute (2014) hat die Gemeinde Raesfeld das Areal als Bauland ausgewiesen. Bis auf den noch intakten Hauptzaun und dem Haupttor ist nichts mehr von der ehemaligen Nutzung zu erkennen. Das Betreten des Geländes ist verboten.

 

Trivia 

Das Verhältnis zwischen den niederländischen Soldaten und den Erlern: 
Laut einem Zeitzeugen aus den Niederlanden, der heute noch mit seiner Frau aus Erle in Erle wohnt, war vor allem das Verhältnis der niederländischen Soldaten zu den Erlerinnen sehr angenehm. Es war selbstverständlich, das Gruppen von Soldaten nach dem Dienst in der Kneipe der Gaststätte Brömmel-Wilms was trinken gingen und das bei der Bäckerei Funke (Heßling) und bei Kerkhoff ganz normal eingekauft wurde. Auch wurde die damalige Pommesbude hinter dem Saal von Brömmel-Wilms gerne besucht. Auch beim Erler Schützenfest waren die Niederländer immer vertreten. Andersherum wurden bei Festen in der Kaserne immer irgendwelche Erler Gruppen eingeladen, z.B. die Feuerwehr oder eine Fußballmannschaft von Eintracht Erle. Bei denen spielten übrigens auch einigen Niederländer. Arthur Vinken meint: "Wir haben uns untereinander sehr gut verstanden weil die Niederländische Soldaten meist aus der Provinzen Limburg und Brabant kamen und diese Leute sehr locker sind und nicht alles auf die Waage legen." Die amerikanischen Truppen hat man im Erler Dorf leider selten gesehen, die blieben lieber unter sich. Über die Zeit mit den Belgiern habe ich leider nichts herausfinden können.

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Der Spionagefall: 
Ende der 60er Jahre scheint sich im Bereich der LA auch ein Spionagefall zugetragen zu haben. Zu der Zeit wurde in unmittelbarer Nähe des LA Kies gebaggert. Das hat die NATO nur mit der Bedingung genehmigt, dass die LKW-Fahrer ihre Laster während des Aufenthalts in der Kiesgrube auf keinen Fall verlassen durften. Eines Tages fand eine niederländische Patrouille einen verlassenen LKW vor und nach kurzer Zeit hat man den entsprechenden Fahrer auch aufgegriffen und man fand bei ihm auch tatsächlich Fotos der militärischen Einrichtungen. Zum Abschluss der Untersuchungen wurde der damalige niederländische Kommandeur degradiert und nach Israel versetzt.

 

Danksagung 

Für die tolle Unterstützung dabei bedanke ich mich bei:

- Eerste Luitenant a.D. Cees Steendijk, 
- Korporaal/LCCO  a.D Arthur Vinken, 
- Korporaal 1e Klasse a.D Leendert-Josef Hoogendijk,
- Soldaat/LCCO a.D. Hans Pleijsier, (Koninklijke Luchtmacht)
- Gefreiter der Reserve Jürgen Dreifke, 
Beauftragter Sicherheitspolitik VdRBw Kreisgruppe Münster 
- Oberstabsfeldwebel a.D. d.R. Rolf D. Görigk. (Bundeswehr)

Für die intensive Zusammenarbeit bei den interaktiven Luftbildern bedanke ich mich bei Stefan Menze, Josefin Nienhaus und Jenny Uebbing (alle Kreis Borken, Geoinformation und Liegenschaftskataster).

 

Weiterführende Informationen 

Jürgen Dreifke hat drei ausführliche Aufsätze über die belgischen und niederländischen NIKE-Hercules-Truppen und -Anlagen sowie über die Geschichte des Flugabwehrschirms über Europa geschrieben, die ich hier mit freundlicher Genehmigung zeigen darf. Einfach auf die Links klicken. Adobe Acrobat Reader wird vorausgesetzt.

Klicken Sie bitte unten auf die Briefmarke,  um auf eine ausführliche Homepage des niederländischen "Veteranen Clubs Erle" zu gelangen.

Klicken Sie hier um zur Homepage des VCE zu gelangen.


Quellen:
[1] Johannes Kempken: "Atombomben in Erle", Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck, 1996, S. 151ff
[2] Wolf-Jürgen Vesper & Wilhelm von Spreckelsen: "Blazing Skies", Isensee, Oldenburg 2004, ISBN 3-89995-054-2.
[3] Diverse eMails und Telefonate mit Cees Steendijk, Eerste Luitenant außer Dienst, Koninklijke Luchtmacht
[4] Diverse eMails und Telefonate mit Arthur Vinken, Korporaal/LCCO außer Dienst, Koninklijke Luchtmacht
[5] Diverse eMails mit Hans Pleijsier, Soldaat/LCCO außer Dienst, Koninklijke Luchtmacht / VCE
[6] Diverse Telefonate mit Leendert-Josef Hoogendijk, Korporaal 1e Klasse außer Dienst, Koninklijke Luchtmacht
[7] Diverse eMails und Aufsätze von und mit Jürgen Dreifke, Gefreiter Unteroffiziersanwärter außer Dienst, Bundeswehr
[8] Diverse eMails mit Rolf D. Görigk, Oberstabsfeldwebel außer Dienst, der Reserve, Bundeswehr

 

Die Freigabepflicht für (militärische Luftbilder) ist bereits 1990 entfallen. Aus Sicht der Bezirksregierung Münster, Dezernat 26, bestehen keine Einwände, die Luftaufnahmen der Erler NIKE/Hercules-Batterie aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, für den Umfang, wie er sich hier auf dieser Seite darstellt, zu verwenden. Reinhard Benicke, Bezirksregierung Münster - Dezernat 26, Domplatz 1-3, 48143 Münster. eMail vom 30.04.2014.