Das alte Kirchlein 1550 - 1875
von Hauptlehrer Heinrich Lammersmann 1927
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Wer erinnert sich noch des lieben, alten Kirchleins in Erle? - Es sind nur noch wenige Erler, die es gesehen haben in ihrer Jugend, und dann auch haben sie es nur gesehen mit dem flüchtigen, oberflächlichen, jugendlichen Blick. Trotzdem es nur klein war und sich nur wenig mit seinem einfachen Dache und seinem stumpfen Turme über das Dorf erhob, war es doch das rechte Zentrum des Dorfes und der Gemeinde. Es lag auf dem runden Kirchhofe und fand darauf Raum genug. Um den Kirchhof stand ein Lattenzaun mit dicken viereckigen Pfosten. In jedem Pfosten stand eingemeißelt der Name desjenigen Bauernhofes, der für die Instandhaltung dieses Teiles haftbar war. Der weiße Anstrich paßte sehr gut zu dem saftig grünen Gräber-Kirchhof. Drei Öffnungen führten hinein von Osten, Westen und Nordwesten.Obstbäume aller Art, Äpfel, Birnen, Nüsse woben mit ihren Kronen um das Kirchlein einen herrlichen Kranz, wechselvoll nach den Jahreszeiten. Sie waren dicht zusammen und nahe an den Lattenzaun gepflanzt. Unter den Kronen der Obstbäume lag der Weg um den Kirchhof.

Die Prozession zog durch die Turmtür in die nord-westliche Öffnung links herum über diesen Weg und hielt so an den hohen Festen ihren „Umgang". Eine schwierige Sache aber war es, mit den Fahnen und dem Himmel das niedrige Laubdach der Obstbäume unbeschädigt zu durchsteuern. Uns Buben schien als die bedeutendste Tätigkeit eines Fähnriches, sich möglichst weit in den Rücken zu legen und die Fahne recht tief zu senken. - Beispiele ziehen! Den folgenden Kreis nun bildeten die festen Häuser, die jenseits des 4 - 5 Meter breiten Weges sich dicht aneinander schmiegten. Es schien, als wollten sie das kleine Kirchlein auf dem grasgrünen Kirchhof und im weißen Lattenzaun mit dem Kranze von Obstbäumen nimmer aus ihrer Obhut lassen. Darum drängte sich im Ringe Haus an Haus wie die Kinder im Ringelspiel. Die Kirche selbst gehörte auch ganz und gar zu ihrer Umgebung. Nur ganz wenig erhob sie sich aus ihrer Umgebung, und selbst der Turm kam nicht hoch über die Dächer der Häuser hinaus. Der Turmhahn hätte ganz gut mit seinen beweglicheren Genossen auf der Straße Zwiesprache halten können. Die Kirche war von roten Ziegelsteinen gebaut und hatte eine Länge von 55 Fuß und eine Breite von 22 Fuß. Die Höhe vom Fußboden bis zur höchsten Rippe des Gewölbes war 24 Fuß. Die ganze Kirche mit dem Chore bildete ein Langhaus mit einem Dache von gleicher Höhe. Der Turm der Kirche war ebenfalls von Ziegelsteinen gebaut, hatte drei Stockwerke und ein stumpfes Dach. Als Stütze der Seitenmauern, die das steinerne Gewölbe in der Kirche zu tragen hatten, dienten an der Nord- und Südwand je 4 Strebepfeiler. An der Südwand, vom Turme angefangen, war zwischen dem 1. und 2. Pfeiler eine Tür und zwischen dem 3. und 4. Pfeiler die 2. Tür. Die erste war besonders für die Westricher und die letztere für die Östricher. Die Türöffnungen waren etwa 1,75 Meter hoch und viereckig. Der Rahmen war von Bruchsteinen. Die Türen selbst waren von schweren eichenen Brettern. Die erste Lage ging von oben nach unten und nach außen waren noch dicke Bretter quer darüber gelegt. Die ganzen Türen waren mit dicken Kopfnägeln beschlagen und mit rotem Ocker gestrichen. Schon Pastor Spannier hatte 1651 „Ego ipse de beiden kerchdoren angestrechen; de färbe kostet 2 Daler". Die Turmtür war größer und zweiteilig. Vor den Türen an der Südseite lagen als Auftritte Baumberger Steine, die stark abgetreten waren und von den Mädchen andauernd für das Ballspiel (Bickeln mit Kötchen) benutzt wurden. Im Türrahmen der Östricher Kirchtür stand die Jahreszahl 1631. Neben derselben hing an der Kirchenwand ein eisernes Brett mit einer eisernen Elle und einem Fuß; dies waren wahrscheinlich einst Normalmaße für die Einwohner gewesen, die auf Stöcke und Latten übertragen dann im Handel und Verkehr gebraucht wurden. Über dem Maße aber stand ein steineres Reliefbild in der Mauer in Größe von etwa 50x50 Zentimeter. Es war aber sehr stark verwittert, so daß die Darstellung nicht mehr erkennbar war. (Es soll die Gefangennehmung Jesu vorgestellt haben.) Zwischen dem 2. und 3. Pfeiler stand draußen das Missionkreuz inmitten von Rosen, Syringen. Gelbröschen und Schneebeeren. Davor stand ein Holzgitter mit einer Kniebank. Es verging kein Abend, an dem nicht die Frauen und Mädchen dort ihre Andacht kurz verrichtet hätten; manche machten sogar noch einige Wege dahin. War die Schulmesse zu Ende, dann knieten auch die Schulkinder mit ihrem Lehrer dort auf den Gräberfund dann erst ging es in die Schule. Das Missionskreuz stand dort seit 1855.


Die alte Kirche von Erle, Skizze von H. Lammersmann
 1: Altar
 2: Beichtstühle
 3: Kommunionbank
 4: Kanzel
 5: Sakristei
 6: Taufbrunnen
 7: Treppe zur Bühne
 8: Treppe zum Turm
 9: Türen nach Süden
10: Chorstühle
11: Turmtür
12: Platz der 1. Schule
13: Missionskreuz
14: Vertiefung in der   
      Kirche
Die alte Kirche von Erle 1550-1875
Zeichnung: Hauptlehrer Lammersmann



Jahrhunderte zuvor stand an derselben Stelle das Beinhaus; es war schuppenartig leicht angebaut und mußte deshalb öfters verankert werden, wie es die Kirchenrechnungen beweisen. Sein Zweck bestand darin, die ausgegrabenen Totengebeine aufzunehmen. Die Nordseite der Kirche hatte keine Türöffnung. Es war dort nahe dem Chore die Sakristei (.. Garffkamer", s. Kirchenrechnung) angebaut, deren Dach bis nahe der Erde kam und deren Fenster mit eisernen Stäben gegen Einbruch geschützt waren. An der Kirche waren nach Süden und nach Norden je drei spitzbogige Fenster und am Chor zwei.

Trat man durch eine der Türen in der Südwand in die Kirche, so stand man in einem viereckigen Loche. In diesem Loche hatten die Türen ihren Gang. Den Boden in der Kirche hatte Pastor Spannier 1649 um 1 1/2 Fuß erhöhen lassen. Er schreibt in der Kirchenrechnung von 1649: „In düssen 49. jähr den 8. Octobr ongefärr mit funff Wagen nach den baamberrich gefaren, darselbsten ferhundert witte estris abzuhalen, so ick for dissen gekofft zu dem pausmendt meiner Kirchen, kosten de Steine dar zu platze 12 Rthr. Den furleuten, so über de sexundzwanzich, in der ausfahrt erstlich zu lette gegeben ein yder ein Kan beer fac., 27 Stüber. Auff baambberich mostidem (dasselbe), facit nach swaren Gelde zurechnen 38 Stüber. Des ändern Dages in der Wedderreise zu lette Ties-Brandes gedan einen Rthr., so de forleut verzeert 2 Dal. Umme mittach zu heiden ahngkommen, nas, mode (naß, müde) undt faull, de pferde unt forlude gegeßen undt gedrunken verteert ahn beer, so ick bezait 45 stbr. Als wi tho Erile gekommen den forluden gegeben eine Tonne beer." Soweit die interessante Geschichte des Flurbelags. Unter einem großen „baambericher" Stein zwischen Kommunionbank und Altarstufen lag der verdiente Pastor Michael Spanier begraben; es ist zu bedauern, daß der schlichte Deckstein mit der Aufschrift nicht erhalten geblieben ist.

Stand man im Türgangloch der Östricher Tür, so konnte man mit einem Schritt sofort in die seitlich an der Südmauer stehende Mettenbank gelangen. Sie war schmucklos mit großem Pultbrett von Eichenholz und bot etwa fünf Sängern Raum. Machte man vom obigen Standpunkte einen Schritt in die Kirche hinein, so stand man vor der Kommunionbank, die eine Länge von etwa 4 Meter haben mochte und an Festtagen an ihren Enden in einer eisernen Oese je eine Fahne trug. Der einzige Altar stand nach Osten ungefähr 1/2 Meter von der Mauer. Drei halbkreisförmige Stufen führten hinauf. Die Vorderseite des Altartisches war geschweift. In der Mitte stand auf himmelblauem Grunde ein verschlungenes Alfa und Omega. Letzteres war, wie der das Ganze umgebende Perlenkranz, vergoldet. Das Tabernakel war von Holz und dreiteilig, nischenartig und endete oben in einer Muschelform. Die Nische mit dem Kreuze war blau, mit dem hl. Sakrament rot und mit dem Ziborium weiß gestrichen. Zu beiden Seiten stand je eine Holzsäule. Nach oben verjüngte sich der Aulbau des Tabernakels. Um die freie Fläche lag in Holz geschnitzt eine Blumenguirlande mit starker Vergoldung. Als Abschluß lag obenauf ein großes, rotes Buch mit Goldschnitt und sieben Siegeln. Hierauf ruhte das Lamm Gottes. Gleich hinter diesem erhob sich ein Kalvarienberg, dessen Grund graue Feimassen vorstellen sollten, die durch Blattwerk belebt wurden. Letzteres war aus Leder geschnitten und grün gestrichen. Auf der Höhe des Berges unmittelbar vor der Ostwand des Chores erhob sich das schlichte Kreuz mit dem Heilande bis unter das Gewölbe. Die Mutter Gottes stand zur Rechten und Johannes zur Linken. Zur Weihnachtszeit aber wurde der obere Teil des Tabernakels fortgenommen, um der Krippe Platz zu schaffen. Alsdann standen auf dem Kalvarienberg allerliebste Tannenbäumchen und auf der Plattform des Tabernakels prangte der strohgedeckte Stall in bescheidener Größe. Rings um den Kalvarienberg wurden Bretter befestigt mit grünem Moos belegt, um die Hirten und Hirtinnen Schafe, Hunde, Kühe und Kerzen aufzunehmen. Wer als Messediener das Glück hatte, die Figuren aus der Sakristei herbeiholen zu dürfen, der wird es auch heute noch nicht vergessen haben. Das waren aber auch Figuren voll Leben und Wirklichkeit und nicht aus Holz oder Stein. Die Köpfe und Hände waren von Wachs und die Augen blickten so klar wie einst zu Bethlehem. Das Haar war echt. Die Kleider waren alle aus richtigem Stoff geschneidert und paßten den wundervollen Leutchen ausgezeichnet. Die kniende Mutter Gottes hatte ein weißes Brokatkleidchen,und ein duftiger Schleier umfloß ihre ganze Gestalt. Das Jesuskindchen war so groß wie ein Daumen, der runde kahle Kopf hatte zwei allerliebste Äuglein. Die Windeln waren reich mit Gold- und Silberfäden durchwirkt. Joseph, der Pflegevater, hatte einen violetten seidenen Mantel, der mit goldenen Tressen reich besetzt war; er faltete die Hände und beugte sein kahles mit wenig grauen Haaren besetztes Haupt. Die Hirten vor der Krippe und auf dem moosbedeckten Brette waren unübertrefflich für uns. Alle hatten einen langen Hirtenstab mit einer glänzenden Schippe in der Hand. Einige hatten einen richtigen Dreimaster, den man abnehmen und wieder aufsetzen konnte, andere hatten breitkrämpige Sonnenhüte auf dem Rücken hangen. Ihre Anzüge waren Schoßröcke und Jacken. Besonders reich waren diese wie auch die Westen mit Goldknöpfen besetzt. Die Kniehosen wurden unter dem Knie von den Knopfgamaschen abgelöst. An den Füßen trugen diese Figuren richtige Lederschuhe oder auch Holzschuhe. Besondere Aufmerksamkeit verdienten auch die Hirtinnen mit ihren großen Fladusenmützen und ihrem Zuckerhut auf dem Rücken. Sie wollten dem Heiland das harte Leben noch in etwa versüssen. So kamen sie alle hergezogen unter den Wacholderbäumchen dem Stalle entgegen mit ihren schneeigen Schäfchen und getreuen Hunden. Kam das Fest der Beschneidung des Herrn, dann stand der Hohepriester in seinen goldigen Gewändern mit Rauchfaß und Messer im Stalle; er hielt das blitzende Messer in seiner Rechten so hoch, daß uns beinahe Angst beschlich um das kleine liebe Jesuskindlein. Den höchsten Glanz erhielt die Krippe durch die prächtigen Gestalten der hl. Drei Könige mit ihrem Gefolge und dem Leitsterne auf dem Strohdache des Stalles. O selige Weihnachtszeit! (Die Krippe war ein Geschenk einer Frau Gräfin von Merveldt zu Lembeck wie ich z. Zt. gehört habe.) War die Weihnachtszeit zu Ende, dann verschwand die Herrlichkeit, und auf dem Kaivaria stand das Kreuzbild wieder in stummer, stiller Trauer.

Der Altar stammte aus dem Jahre 1693. Pastor Quickstert schreibt: „Die bank auff den choor an der rechte Seite schießend mitt dem Ende an die thür ist auch Erblich verkauft an Stegerhoff, bente oppen dorp, Kyffmann und Johan Kempkes und der gibt für seinen platz 2 (sage zwei) Ryxtaler Dieses gelt für gemeldete Bänke (er hatte noch mehr Plätze erblich verkauft und dies schriftlich mitgeteilt) habe ich dem Newen altar angewendet. Anno 1693." Als Kredenztisch diente eine kleine Nische in der Wand. An der Evangeliumseite des Altars stand der Beichtstuhl des Pastors und an der Epistelseite der des Kaplans. Die Beichtkinder reiheten sich hinter dem Altar und in den Mettenbänken. Auf dem Chore bis unmittelbar an den Altar und die Stufen und um die Kommunionbank zwängten sich die 150 Schulkinder und knieten auf den Baumberger Platten, nur das ausgebreitete Taschentuch unter den Knien. Ueber der Mettenbank der Evangelienseite stand in einem großen Glaskasten auf einem hölzernen Postament das Bild der Himmelkönigin mit Zepter und Krone. Unmittelbar daneben war die Tür zur Sakristei mit ihrem eierförmigen, messingenen Schloßhebel oder Griff.

Die alte Kirche von Erle, Skizze von H. Lammersmann
Die alte Kirche von Erle 1550-1875
Zeichnung: Hauptlehrer Lammersmann


Man denke nur ja nicht, die Sakristei habe nur dem Priester und den Messedienern gehört; nein; sie war ein wesentlicher Teil der Kirche und vollgepfropft bis auf den letzten Platz, so daß der Priester kaum Bewegungsfreiheit behielt. Bei der Predigt wurde dort jede Sitzgelegenheit benutzt: Treppe, Schränke, Betschemel usw. Daß diese Überfüllung der Andacht und Aufmerksamkeit nicht immer förderlich war, läßt sich leicht denken. Von der Sakristei führte eine vierstufige Treppe durch eine schmale Tür in der Nordwand der Kirche auf die Kanzel. Der Schalldeckel hatte in der Mitte ein strahlendes Dreieck mit einem Auge auf rotem Grunde. Nach oben erhob sich der Deckel stufenförmig, und auf diesen Stufen lehnten die beiden Gesetzestäfeln des Moses. Die Kanzel erhob sich nur wenig über die ersten beiden Bänke, so daß die Plätze unter derselben nur für kleine Personen zweckmäßig waren. Pastor Lohede, der im Jahre 1814 im Juli nach Erle kam, hatte die beiden Beichtstühle und die Kommunionbank „gratis vom H. Grafen" erhalten. Auch ließ er den Altar verschönern, den Kalvarienberg anlegen und den Altar nach Osten an die Wand setzen. Bisher hatte der Altar soweit nach der Mitte gestanden, daß noch 4 Bänke hinter dem Altare stehen konnten. Auch die neue Kanzel wurde angefertigt. Joan Stegerhoff (später Müter, jetzt Stur) machte die Arbeiten. Die „Illumination" (den Anstrich in Mahagoni mit Goldlinien) der Kanzel, Orgel, der Bilder, der Beichtstühle, des Altars und der „Kommunikantenbank" besorgte Welsing in Dorsten. „So wie der Altar itzt dasteht, ließ ich ihm aufführen, ohne auf einige Widersprüche der Plätze wegen hinter dem Altare zu achten, weil kein Platz da war für die Schulkinder." So haben wir die Kirche gesehen, wie Pastor Lohede sie verschönert hat - Der Kanzel gegenüber an der Südwand hing in einem Glaskasten eine Mutter Gottes mit silberner Krone. Auch das Jesuskind trug ein Krönlein von Silber. Die Figuren waren mit seidenen, weitwallenden Gewändern bekleidet. Gold- und Silberstickereien blitzten. Man sah auch allerlei Weihgeschenke als Halskreuze, goldene Ketten und andere Schmucksachen. Unten am Kasten waren Haken für Flachs- und Garngeschenke. Dieses „Beld unse leiwe frauwen unt unse Silvester" wurden auf der „hilgendracht" alljährlich nach „rade, Raßfelt und alden Scherenbeck gedragen" und die Träger ,,verteerten l Daler 15 stbr." auf Kosten der Kirche. In der Mitte der Kirche hing ein Kronleuchter aus Messing. Über einer runden Kugel hielten eine Anzahl gebogene Arme die Kerzen. Das Schlußstück oben war ein Doppeladler. Die Nordwand trug in einer Nische das Standbild der hl. Ursula mit ihren Jungfrauen in mittelalterlichen Trachten. (Die Statue ist jetzt im bischöflichen Museum zu Münster.) Wir kommen nun unter die Orgelbühne. Gleich an der Westricher Türe stand der Taufstein oder die Fünte, ein achteckiger schmuckloser Stein, der sich nach dem Fuße zu verjüngte: und mit einem glatten und platten Holzdeckel verschlossen wurde. Darin stand ein kupfernes Gefäß mit dem Taufwasser. „Anno 1768 ist im Sommer der Taufbach, welcher unter der zum Hang-Zoller reichenden Treppe gestanden, aus erheblichen Ursachen hinter in die Kirche versetzt worden. Auf solchen evacuirten Platz stehend 2 neue Bänke zum besten der Kirche gemachet und mit Consens Sr. Hochgräfl. Ecellence von Merveldt öffentlich dem meistbietenden verkauft und zwand. 23. Sept. ejusdem anni. In der ersten Bank am Eingang der Kirche seyend 4 Plätze, welche ohne Unterschied sind verkauft an Suendorp, Hörneman, Lageman und Ahlfs jeder Platz ab 10 Rthl. Dies bezeuge ich, Joannes Josephus Cuman, Pastor in Erle den 7. Oktober 1768.".

Der Hang-Soller von 1768 war jedenfalls von kleinerer Ausdehnung als wir ihn gekannt haben. Der letzte ging bis an die Kirchenfenster und bog sich in der Mitte mit seiner Brüstung noch weiter in die Kirche hinein und wurde von 4 Holzsäulen am Mittelgang gestützt. Es hatte die Kirche eine alte aber neu durchgearbeitete Orge[ vom Orgelbaumeister Eppman zu Essen gekauft für 484 Rthl., freie Station bei Wolberg und freien Transport von Essen und der Geräte zurück nach Essen. Pastor Lohede schreibt: „Darauf erhielt ich Erlaubnis vom Vicariate 482 rx, die die Erben des verstorbenen Pastors de Weidige noch zu zahlen hatten, zur neuen Orgel zu verwenden, welches mit Epman aus Essen dafür accordirt wurde nebst Beköstigung und freie Station, das alle nahm er an zu 10 rx. Aber nun war eine größere Orgelbühne nötig, wozu Holz nötig war. Ich gab 2 Stämme und Prien und Nienhaus jeder einen. Bei den Kirchenbauern widersetzten sich Hußmann, Grewing, Rickert. Es wurde vom H. Landrat Befehl erwirkt, allein der Maire (Amtmann) führte ihn nicht mit Gewalt aus. Um nicht zu procediren, haben Hußman und Grewing dafür Fuhren nicht angerechnet, und Rickert hat 5 rx gegeben, so ist das Recht der Kirche salvirt. Zum Bau der Orgelbühne schenkte ferner Heßling 1 Stück Holz zum Pfeiler, Horstman 1 Balken und Bretter, Grewing ein kleines Stückchen, etwa 1 1/2 rx wert. Er protestierte nicht, doch war es ihm nicht recht; bei Hußman auch ein kleines Stückchen, wogegen er protestierte. Paus und Rickert waren nicht zu Hause; die Frauen sagten, was die ändern täten, das täten sie auch!" (Kirchen-Archiv)

Die neue und letzte Orgel in der kleinen alten Kirche hatte folgende Register: „Prestant 4', Gedackt 8', Quinta 3', Flaute 4', Miciur 3 eher; Cormorne, Baß, Trompete, Discantalt, Tremulante". Die Orgel hatte l Spieltisch und l Pedal für Luft sorgten mehrere übereinander liegende Bälge. Der Organistenplatz war von einem Lattenzaum umgeben, damit der Organist nicht durch das Gedränge im Spiel gehindert wurde. Der „Hang-Soller" und auch die Treppe waren stets bis auf den letzten Platz besetzt. Durch den „Hang-Soller" ging auch das Seil der Silvester-Glocke. Damit nun die Leute beim Gebrauch der Glocke nicht durch das auf- und abgehende Seil belästigt wurden, hatte man den Seilgang durch 4 Bretter eingeschränkt; es entstand nun beim Gebrauch der Glocke ein polterndes Geräusch, was uns Buben durchaus nicht unangenehm war. Die Seile der beiden anderen Glocken hingen innen, unmittelbar vor der zweiteiligen, nägelbeschlagenen Turmtür. Zur größeren Sicherung der Turmtür gegen Einbruch wurde ein eichener Balken quer links und rechts in die eigens dafür geschlagenen Mauerlöcher eingeschoben, so daß die Tür gegen Druck Widerstand hatte.

Interessant wird es dem Leser sein zu erfahren, daß um das Jahr 1660 herum der „Hank-Solder" auch benutzt wurde, um das Korn der Kirchenbauern auf-zunehmende überhaupt die Kirchenpächte in der Kirche empfangen wurden. (Vielleicht um diese Gaben umsomehr als Gott dargebrachte Opfer erscheinen
zu lassen.) In der Rechnung vom Jahre 1662 heißt es: „Der rogen in dem lhar verkofft, jeder molder 4 Daler, als dieser rogen ist von den hanchsolder gemetten, an die Mate gefeit 3 Scheffel welches die mäuse gefressen."

Ich möchte jetzt meine Leser auffordern, mit mir den Turm zu besteigen. Die Kirchenwände waren „gewittet" und zeigten nur einige verblichene Ölgemälde in Holzrahmen, und die Fenster hatten nur gewöhnliche Scheibchen, die „der glasemakermeister Cloß von Dorsten" schon 1674 „wederum gerenouwert, davon gegeben 1 Daler." Also hinauf in den Turm! In der letzten Kirchenbank der Nordseite steigen wir auf die Sitzbank und öffnen den Riegel einer schweren, eichenen Tür. Dann stehen wir in einem schmalen, niedrigen Treppengang, der auf Backsteinstufen zum zweiten Turmabsatz führt. Zwei kleine Löchernd nahm noch etwa drei Stufen, und man stand in einem viereckigen Räume. Dortselbst lehnten alte abgelegte Ölgemälde an der Wand. Ein türartiges Loch, so hoch vom Boden, daß man es ohne Leiter nicht erreichen konnte, führte auf das Gewölbe der Kirche. In der südwestlichen Ecke hatte dieser Raum oben keine Decke, man konnte von unserem Standpunkte bis unter das Turmdach sehen. Dort schwebten an Seilen zwei gewaltige Steine als Gewichte der Turmuhr und machten täglich die Reise von oben bis unten, um dann wieder aufgezogen zu werden. „Tik, tak! Tik, lak!" mit einem schweren Untertone stößt das Uhrwerk. Wir müssen über eine eichene Treppe mit einem Geländer hinauf. In einem Bretterstübchen stand das schmiedeeiserne,einfache Uhrwerk mit 2 Rollen; denn die Uhr schlug nur die vollen Stunden und hatte nur 1 Zifferblatt nach Süden. Täglich mußte sie aufgezogen werden. Alt schien sie zu sein. Schon 1674 heißt es: „Den Coesler von wegen daß Uhrwerk tho stellen gegeben 6 schepel Roggen." In der Kirchenrechnung von 1640 steht: „De Uhrwerker von Wesell ver dat reinigen in 3 jhar betalt 3 Daler." Alljährlich erscheint auch eine Ausgabe von „8 stbr. ver bomoli."

Nur wenige Stufen höher und wir sind auf der Glockenstube. Hier war es recht luftig, ja windig. Nach jeder Himmelsgegend war ein offenens nur durch Jalousien geschütztes Schalloch („Galwengat"). Vor dem Schalloche nach Osten stand in halber Höhe desselben der Dachfirst der Kirche, und mancher Junge ist damals schon rittlings, eine Strecke hinauf gerutscht - es war eben zu einladend, und schwindelfrei waren wir dazumal alle. Die Glocken, drei an der Zahl, hingen an dicken Achsen mit vielen eisernen Spangen. In der Mitte hing die große, nach Norden die kleine und nach Süden die mittlere Glocke. Die Glocken wurden namentlich in alter Zeit recht viel gebraucht. 1648 schreibt Pastor M. Spannier: „Umme Vastelabend dieses jhares aus unseren beiden großen docken de Cleppel heraus gefallen, de Worzell ganz verschletten, zu borken bei dem hamaker zwo nie Worzell maken laten costet jeder 35 stb." Daß durch die Zeit „neuwe Clockensele" die Ausgaben vermehrten, ist selbstverständlich. Die Läuteordnung war fest geregelt: 3 mal 3 Schlag mit der großen Glocke leitete das Angelusläuten ein, die kleinste Glocke läutete es aus. Die große Glocke wurde geläutet beim Begräbnis eines Erwachsenen. Das Begräbnis eines Erwachsenen wurde am Tage vorher der Gemeinde verkündigt. Die kleinste Glocke wurde 12 mal einseitig angeschlagen (gekleppt) und dann mit der großen Glocke zusammen geläutet. Dies mußte sich um 11 Uhr des Vortages dreimal wiederholen. Bei dem Begräbnisse eines Kindes nahm man anstelle der großen Glocke die mittlere. Bei Brand und Not schlug man die große Glocke einseitig an. Zur stillen Messe rief das kleine Glöckchen allein. Zum Hoch- und Seelenamt luden die große und die mittlere Glocke ein. Die Wandlung wurde durch 3 mal 3 Schäge mit der mittleren Glocke verkündet. Ein Versehgang wurde durch einseitiges Anschlagen der mittleren Glocke bekannt gegeben. Die Sonntage wurden Sonnabend durch Bajern, d.h. Anschlagen der Klöpfel sämtlicher Glocken in bestimmter Reihenfolge und festem Rhythmus eingeleitet. Vor Festtagen wurde aber die große Glocke gezogen, während die beiden kleineren nur am Klöpfel dazwischen angeschlagen wurden, man nannte dies„stark bajern." An außerordentlichen hohen Festtagen wurden alle drei Glocken gezogen. Im Advent und in der Fastenzeit ertönte als Bußglocke die große allein.

Unser Kirchlein war etwa im Jahre 1550 gebaut. Im Jahre 1664 schreibt Pastor Korte in der Kirchenrechnung: „Als die Kirche vor hundert und etlichen Jahren durch eine Feuersbrunst eingeäschert" usw. Der Erbauer war also der Nachfolger des letzten katholischen Pastors Jacob Brabanter, der 1533 starb. Er hieß Hardenberrich (Hardenberg) und stand nicht mehr streng auf katholischem Standpunkte. Er lebte bis 1555. Sein Nachfolger war ein Vikar aus Dorsten, der wegen Glaubensstreitigkeiten im Jahre 1559 wieder nach Dorstsen zurückzog. Das Dach der Kirche und des Turmes waren mit Dachziegeln (Pfannen) gedeckt. Alljährlich wurden nun die Dachziegel in großer Anzahl vom „Wint abgeweiht." Dann mußten die Erler wieder nach „Scherenbeck." zu „Peter dem pannenbecker" und Ersatz holen. Sie zahlten für 100 Stück 1 Daler und 7 stbr. „Toll." Trotzdem war das Dach undicht. Es heißt 1648 in der Kirchenrechnung von Pastor Spannier: „Es haben Pastor, Kirchenmeister, Holzrichter und andere Kerspels Vorstenders mehr zu Erlle in Johan brandes behausung den Tom und de Kirche ahn unsere beiden Timmerlüden Meister Johan und Herman zur beiden verdungen der gestalt, das se den Torrn met zwo nie Siden met Spandak (Schindeln) und also fort ringsumme her selten beklemmen und dichter maken und bawen den Chor, das Haupt der Kirchen, auch met 3 nuwe Parken von Spandach dichter maken sollen alles vetrefflich. Dar für habe ick ehnen geben messen 28 Rtl. und eine tunne beer in beisein oben genennter lüdden." Im Jahre 1732 denkt Pastor Cuman daran, eine Kollekte in der Herrlichkeit bewilligt zu bekommen. Im Antrag begründet er seine Bitte: „Es ist zwarn zur erhaltung des pfannendachs und abkehrung des durchschlagenden regens das Dach über und über mit Calch beschmiert worden, aber ohne großen Früchten. Da scheint es notwendig zu sein, zur Conservation jetzt gedachtem Gotteshause ein Leyendach anzulegen. Erlle, den 20. Aug. 1732. Joannes Josephus Cuman past., bakenhoff Kirchmeister und bauerrichter, Joan henrich Nienhaus Kirchenmeister, albert steigerhoff." Die Kollekte wurde bewilligt,und im Jahre 1736 wurde die Kirche mit Schiefer gedeckt. So blieb es bis zum Abbruch. Im Jahre 1872 Jakobi-Tag brannten Wolberg, Böckenhoff (jetzt Schneemann) und Heidermann nieder. Die Kirche fing über dem Chor auch Feuer und es fehlte nicht viel, so wäre auch sie dem Feuer zum Opfer gefallen wie ihre Vorgängerin um das Jahr 1550.

Nähere Einzelheiten hierüber im folgenden Artikel. Noch eine kleine ergötzliche Turmgeschichte muß ich kurz in Erinnerung bringen. Es war im Spätsommer des Jahres 1873. Die im Vorjahre niedergebrannten Häuser standen im Rohbau ohne Fenster und Türen fertig. Da kamen aus einem Nachbardorf 1/2 Dutzend Jünglinge, die einen höheren Turm zu sehen gewohnt waren. Das Erler Türmchen interessierte sie so sehr, daß sie beschlossen, dasselbe nach seiner Länge, Breite und Höhe mit dem Zollstock zu messen. Das Messen ging aber so umständlich und augenfällig zu, so daß verschiedene Erler die Karten auf den Tisch warfen. Die Meßkommission wurde kurzerhand gefaßt, die Hosen gründlich vermessen und dann ließ man die Kerlchen frei. Hei, wie da der Weg in die heimatlichen Fluren gemessen wurde! Ich habe es selbst gesehen, wie sie durch die Fensterhöhlungen der Neubauten sausten. Sie sind nie wiedergekommen und wenn sie das Türmchen sahen, wird ihnen jedenfalls etwas im Gedächtnis aufgestiegen sein, was mit einem brennenden Gefühle verbunden war. Offen gestanden,ich freue mich heute noch über die männliche und ,,maßvolle" Zurückweisung der Geringschätzung unseres alten, ehrwürdigen Türmchens.

Eingangs dieser Ausführung nannte ich die alte Kirclie mit dem Kirchhofe nach ihrer Lage den Mittelpunkt der Gemeinde. Auch in anderer Hinsicht war hier das Zentrum. Sonntags vor dem Gottesdienste gruppierten sich die Bewohner der Bauerschaften am Staket, um die Geschehnisse der Woche sich mitzuteilen. Der Handelsmann fehlte nie am Eingang zum Kirchhofe,und jeder Bauer wurde gefragt : „Nichthe hannein?" In die Wirtschaft ging kaum jemand. Das Wetter hatte keinen Einfluß auf diese Gewohnheit, überdies schützte ja der blaue, allgemein gebräuchliche, leinene Kittel, der unmittelbar vor Beginn des Gottesdienstes in ein befreundetes Haus abgelegt wurde. Ein gewaltiges Leben herrschte um den Kirchhof am Kirmestage. An das Staket gedrängt standen Buden mit Kuchen und Spielzeug dicht zusammen. Die Erler wogten mit ihren Gästen vor den Kaufständen unter den Obstbäumen auf und ab, um zu schauen und zu kaufen. Nachmittags klang dann die Fiedel aus den geöffneten Fenstern der Wirtschaft Wolberg (jetzt Wilms Saal) und das Stampfen der Tänzer. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden auch in Brandes Behausung „Gelage" gehalten. Die Schmiede enthielt dazumal den Braukessel. Das nötige Bier braute man eben selbst aus der zusammengetragenen Gerste.

Auf dem Kirchhof sammelten sich die wehrfesten Männer mit ihrer Wehr auf den „Clockenschlag," wenn eine Not drohte.

Tagtäglich war der Kirchhof der Tummelplatz der Jugend. Wenn die Dämmerung sich einstellte, war die ganze Dorfjugend auf dem Kirchhofe. Das war ein Haschen, Fangen und Rennen! Die Pfeiler, die Bäume, das Staket, die umliegenden Häuser boten auch so schöne dunkle Ecken zum Verstecken. Es waren herrliche Stunden, deren sich jeder gern erinnern wird, der dabei gewesen ist. Tönte es „bumm, bumm, bumm!" dann verschwand die Jugend an das offene Herdfeuer oder in die Stube, wo der Webstuhl klapperte und das Spinnrad surrte. Auf dem Kirchhofe vor dem Missionkreuz aber sammelten sich stille Beter. So endete hier jeder Tag; man fühlte sich hier so recht in der Herzkammer der Gemeinde.

Dreiviertel Jahrhundert hatte das Kirchlein der Gemeinde gedient. Es hatte schwere Zeiten gesehen, und doch stand es noch fest und unerschüttert. Baufällig war es in keinem Falle. Doch waren seine Ausmaße nicht mehr der Bevölkerung entsprechend. Wenngleich jeder Raum innerhalb seiner Mauern ausgenutzt wurde, so mußten doch Scharen von Männern vor der geöffneten Turmtür in Wind und Wetter dem Gottesdienste unter freiem Himmel beiwohnen. Es war zu eng und klein für die Gemeinde. Als 1855 (13. - 20. Mai) die ersten hl. Missionen in der Gemeinde abgehalten wurden, da wußte man sich nicht anders zu helfen, als daß man die Kanzel auf dem Kirchhofe aufschlug. Trotz der Regenschauer drängte sich das Volk und füllte den freien Platz Kopf an Kopf. Im Jahre 1875 hatte Pfarrer Nonhoff soviel Kapital gesammelt, daß der Neubau beginnen konnte. Die alte Kirche wurde nun im August abgebrochen durch den Bauunternehmer Koch in Dorsten. Hierbei zeigte sich, wie ungemein fest noch die Mauern waren. Nur mit größter Anstrengung ließen sich Mauerteile vom Mauerwerk lösen. Man ging dazu über, die Fundamente zu untergraben, so daß die Mauern stürzen mußten. Dann sprengte man mit Pulver. Bald lag nun das Kirchlein in Trümmern. Das war aber beileibe nicht das Ende desselben. Seine Treue ging weiter. Es stieg hinab in die Erde zu der Asche vieler Generationen, die einst in seinem Innern gebetet und gesungen hatten, nicht um auch Asche zu werden, sondern um neuverbunden das dauerhafte Fundament der größeren Nachfolgerin zu sein. Wahrlich, eine hehre Schlußaufgabe im Dienste Gottes und der Menschen! 



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Dieser Text wird mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des Urheberrechts als frei zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt werden dürfe. Alle Rechte liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich Lammersmann.