Die merowingisch-fränkischen Gräber zu Erle - Bausteine zu ihrer Geschichte
von Hauptlehrer Heinrich Lammersmann 1927
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Um die Zeit der Geburt Christi waren die Römer unsere westlichen Nachbarn jenseits des Niederrheines. Sie hatten bei Xanten ihre festen Lager Castra Trajana und Castra Vetera. Letzteres lag auf dem Fürstenberge und jenes in der Gegend des jetzigen Clever-Tores. Nach Tacitus umgaben sich die Römer mit einer Ödzone in der Breite von einer Tagesreise – etwa 20 klm. Unter „Ödzone“ verstand man nicht ein Gebiet ohne Vegetation, sondern nur ein Gebiet, in dem die Römer keine Siedelungen, keine fremden Einwanderungen oder Nutznießungen duldeten. Auf diese Art und Weise heilten sie die germanischen Stämme in genügender Entfernung und waren vor Beunruhigungen gesichert, andererseits sicherten sie sich ein hinlänglich großes Gebiet für ihre Viehherden und ihren Ackerbau. Die gewaltigen Wälder mit dem zahlreichen Wilde gaben ihnen Gelegenheit zur Ausübung der Jagd. Diese Jagd war nun eine angenehme Abwechselung im Lagerleben, steuerte zum Lebensunterhalte bei und diente auch gleichzeitig der Überwachung der Ödzone. Die Ödzone wird bis Erle gereicht haben. Die Entfernung von Erle nach Xanten (20 klm) ist seit alter Zeit immer als eine Tagesreise aufgefaßt. (Die Wallfahrt nach Kevelaer ging zu Fuß am 1. Tage bis Xanten.)

Der Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.) sicherte die Grenzen, nachdem er Rache bei Idistavisus genommen, durch diplomatische Benutzung der Stammesfehden. Die Sugamberer zwischen Lippe und Sieg wurden schon als Hauptfeinde Roms 12 v. Chr. von Drusus geschlagen. Im Jahre 8 v. Chr. verschickte Tiberius diesen kräftigen germanischen Volksstamm nach dem linksrheinischen Gebiet zwischen Maas- und Rheinmündung. Jedenfalls schien den Römern dieser Volksstamm trotz der Niederlage noch gefährlich, so daß sie ihn von den anderen germanischen Stämmen trennten und in der „Meeruve“ (am Meeresufer) isolierten. Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß die Römer die kampffähigen und kampffreudigen Sugamberer in ihre Legionen preßten als Hilfsvölker gegen die Germanen. So erlernten die Verschickten die römischen Waffen zu gebrauchen und die römische Kriegsführung kennen. Die römische Staatsverfassung mit der glänzenden Kaiserkrone mochte für sie Vorbild werden. Nach ihrem Wohnorte nannten sie sich nunmehr „Merowinger“. Sie werden sich jedenfalls mit den dortigen Bewohnern, die salische Franken waren, vermischt haben. Als nun die Römer den Niederrhein räumten, da haben sie nach aller Wahrscheinlichkeit, das Erbe derselben angetreten. Schon bald hören wir die Einsetzung eines Königs. Als im Jahre 448 Chlodio starb, da wurde sein Sohn Meruwech der erste König. Ihm folgte Childerich. Dieser starb 481. Childerichs Sohn war Chlodwig. Mit Chlodwig treten die Merowinger in das helle Licht der Geschichte. Es war noch Heide und hatte eine Ripuarerin, Chlothilde, zur Gemahlin, die bereits Christin war. Chlodwig dehnte seine Herrschaft über alle Franken aus. Dies wäre ihm nicht möglich gewesen, wenn er nicht den ganzen Niederrhein (mit der von den Römern angelegten Ödzone) vollständig in seiner Hand gehabt hätte. Seine nordöstlichen Nachbarn, die Sachsen, waren eben immer zu Raubzügen und Einfällen bereit. Chlodwig ließ sich vom Bischof Remigius zu Reims taufen. Seine Nachfolger überließen als Weichlinge die Sorgen der Regierung ihren Hausmeiern, von denen Karl Martell und Pipin der Kurze besonders hervorzuheben sind. Schon unter den Merowingern begann die Bekehrung der Sachsen und die Feindschaft zwischen ihnen und den Franken setzte ein. Chlodwig verteilte sein Reich unter seine vier Söhne. Sein jüngster Sohn Chlotar IU. vereinigte noch einmal das Frankenreich im Jahre 588. Er kämpfte schon siegreich gegen die Sachsen und legte ihnen einen Tribut von jährlich 500 Kühen auf. Auch Paulus Diakonus, Schriftsteller der Longobarden, berichtet, daß im Jahr 605 zwischen Franken und Sachsen ein Kampf stattgefunden habe und daß auf beiden Seiten ein großes Blutbad angerichtet worden sei. Um 690 kämpften die Sachsen gegen die zum Christentum übergetretenen Bruckterer und vertrieben sie aus ihren Wohnsitzen nördlich der Lippe. Nach Einhards Berichten setzte Karl Martell bei der Lippemündung über den Rhein und verwüstete den größten Teil des rauhen Landstrichs. Auch Pipin der Kurze besiegte als major domus die Sachsen 747. Diese versprachen, den Zins von jährlich 500 Kühen (wie bei Chlotar I.) wieder zu entrichten. Als sich Pipin 751 selbst zum Könige gemacht hatte, brachen sie das Versprechen. Pipin setzte 753 über den Rhein und besiegte sie abermals. Nun gelobten die Sachsen, jährlich 300 Rosse zu liefern. Viele Männer und Frauen der Sachsen führte er gefangen fort. Fünf Jahre später (also 758) besiegte Pipin sie nochmals, obwohl sie tapfer Widerstand leisteten und ihre Schutzwehren verteidigten. Nach einer gewonnenen Schlacht rückte er durch den nämlichen Wall ein, durch welchen sie ihr Vaterland hatten schützen wollen. So erzählt Einhard. Die Sachsen hatte also ihr Land durch Wälle – Landwehren – geschützt. Die Merowinger hatten ihre Grenzen gegen die Sachsen durch Besatzungen an geeigneten Plätzen gedeckt. Einhard schreibt: „Die Grenze zwischen uns und den Sachsen zog sich fast durchaus ohne trennenden Zwischenraum in der Ebene hin, mit Ausnahme weniger Stellen, wo größere Waldungen, dazwischen liegende Bergrücken eine scharfe Grenzlinie bildeten; so wollten Totschlag, Raub und Brandstiftungen auf beiden Seiten kein Ende nehmen“.

Zur Zeit Karls des Großen lag an der Lippemündung eine Siedelung, Lippemund oder auch Lippeham genannt. Die Lippemündung lag aber damals unterhalb Wesel und näher bei Xanten. Nach Einhards Jahrbüchern ist Karl dort während der Sachsenkriege viermal über den Rhein gegangen, um in das Sachsenland einzufallen. 779 hielt Karl in Düren einen Reichstag ab, setzte bei Lippeham über den Rhein und schlug die Sachsen bei dem Orte Buocholt. (Es ist nicht sicher, daß mit Buocholt die Stadt Bocholt gemeint ist.) Zum zweiten Male ging Karl von Gallien aus 784 bei Lippeham über den Rhein uns zog bis zur Weser, wo er bei Hukülbi=Hakelewe – jetzt Petershagen – ein Lager bezog. Zwei Jahre später wurde auf dem Reichstage zu Paderborn die Totenverbrennung bei Todesstrafe verboten. Zum dritten Male kam Karl 794 nach Lippeham, hielt daselbst einen Reichstag ab und zog weiter nach Padrabrunna. Bei dieser Gelegenheit empfing er auch den Papst in Lippeham. Zuletzt war der Kaiser 810 in Lippeham und erwartete die noch nicht eingetroffenen Truppen zu einem Zuge gegen die Normannen.

Römer, Merowinger und Franken hatten also ihr Einfallstor in das Sachsenland bei Lippeham zwischen Wesel und Xanten. Nicht unerwähnt lassen will ich, was schon der Amtmann Brunn vor rund 100 Jahren in die Chronik seines Verwaltungsbezirkes eintrug. Es heißt dort: „Es wurde schon mehr als wahrscheinlich, daß die Römer bei ihren Zügen auf Liesborn und Xanten nur ihren Weg an dem Ufer der Lippe hinaufnehmen konnten, welches, wie die Erfahrung zeigt, fester als die übrige Gegend war (?), also auf Schermbeck, Hervest, Lippramsdorf usw., wenn wir nicht aus den Untersuchungen des Majors Schmidt über diesen Punkt schon mehr hätten. (Haltern – Annaberg!) Die Geschichte lehrt ferner, daß sich diesseits des Rheins mutmaßlich der cäcinische Wald erstreckte und an dem Rhein die leeren Aecker lagen, welche die Römer sich zum Vorteil ihrer Reuterei vorbehalten hatten. Zu Julius Cäsars Zeiten hatten die Merowinger diese in Besitz, wurden aber von den Tenktern und Usipiern vertrieben. Nach dieser Zeit haben viele deutsche Stämme diese Felder besetzt, sie mußten jedoch bei übernehmender Gewalt der Römer wieder flüchtig werden. Als später die Franken immer mehr in das römische Gelände eingedrungen waren, sich daselbst festgesetzt hatten und das Christentum angenommen hatten, sanken sie (die deutschen Stämme) aber dadurch in dem Ansehen mit den ihnen befreundeten deutschen Völkerstämmen.

Aus all den vorgetragenen geschichtlichen Vorgängen geht klar hervor, daß die Herrlichkeit und besonders die Gemeinden Erle und Schermbeck den vielen Einfällen und Kämpfen ausgesetzt waren. Andererseits werden die Römer, Merowinger und Franken ihren Rheinübergang bei Lippeham am Niederrhein auch durch einen genügend großen Brückenkopf geschützt haben, um die Vorstöße und Rückzüge ihrer Heere sicherzustellen. Welcher Art diese Sicherung war, erzählt ja schon Einhard.

Eine solche Befestigung der äußersten Grenze gegen die Sachsen war auch in Erle schon in der Zeit der Merowinger. Hier wurde ein Friedhof aus merowingischer Zeit aufgefunden. Merowingisch sind die Gräber: Nach dem Gebrauche der damaligen Zeit hat man den Toten Waffen, Schmuck und Gefäße mit ins Grab gegeben. Sind auch die Leichen vollständig aufgelöst, so sind die Beigaben doch unwiderlegbare Zeugen ihrer Zeit. Obschon die Nachforschungen noch nicht abgeschlossen sind, so kann man die Zahl der Gräber heute schon auf 40 bis 50 schätzen. Leider sind im Laufe der Jahrhunderte manche Schätze zu dem alten Eisen gekommen. 24 Gräber sind behutsam geöffnet, und ihre Beigaben sind geborgen. Daß wir es hier mit merowingischen Frauen- und Männergräbern zu tun haben, bezweifelt niemand. Wie aber kommen diese hierher? Waren es etwa Opfer einer Schlacht? Ich glaube es kaum. In der Regel geht es nach einer Schlacht nicht so ordnungsmäßig her. Die Anordnung der Beigaben zeigt überall Überlegung und Ruhe, niemals fanden wir ein wildes Durcheinander. Wozu sollten die Krieger die merowingisch-fränkischen Geschirre mitschleppen, die doch so zerbrechlich waren? Dann zeigt die Zahl der Frauengräber, die ungefähr die Hälfte aller Gräber ausmacht, daß wir es nicht mit den Opfern einer Schlacht zu tun haben, sondern die Begräbnisstätte einer Station oder Siedelung aufdeckten.

Reich sind die Gräber an Schmuck, an Schmuck von hohem Wert: Gold und Kupfermünzen, kostbare Almandinen mit Gold unterlegt, silberne Verzierungen und Filigranarbeiten sind den Toten beigegeben. Die Kriegergräber bergen die gesamte Ausrüstung, die einen hohen Wert zur damaligen Zeit ausmachte. Wenn nicht eine Station oder Siedelung in der Nähe gewesen wäre, so hätte man durch diese kostbare Ausstattung den Feind ja nur gereizt, die Gräber zu plündern. Haben die Germanen doch auch nach der Varusschlacht den Grabhügel zerstört. Sind sie nicht um den ganzen Erfolg der Varusschlacht gekommen, gerade wegen ihrer Sucht, Beute zu machen? Hatten die Sachsen auch die höchste Erfurcht vor den Grabhügeln ihrer Stammesgenossen, so ließen sie gegenüber ihren Feinden doch Haß und Rachsucht gelten. Diese wußten auch die Römer, Merowinger und Franken. Wir dürfen also annehmen, daß die Begräbnisstätte auf Nienhaus-Krampe in Erle unter ihrer Aufsicht blieb und die Besatzung in der Nähe liegen mußte.

Etwa 2 ½ Klm. östlich von Nienhaus liegen die Hügelgräber der Sachsenhöfe in der Östrich. (S. Kalender 1926 Ursiedelung von Erle.) In der Westrich ist noch kein Hügelgrab sächsischer Art gefunden. Nach dem Namen zu urteilen, ist der westlichste Sachsenhof der Hof Askamp. Er war der einzigste Hof in Erle, der nach Xanten abgabepflichtig war. (Zeitschr. der Vereine für Orts- und Heimatkunde im Veste und Kreise Recklinghausen. Jahrg. 1898. 8. Band: Seite 33: 354 domus to erler assenkamp hatte an das Xantener Capt. zu zahlen jährlich 2 Schill.) Es scheint fast, als ob die Merowinger den Besitzer dieses Hofes für ihre Zwecke (mit Liebe oder Macht?) gewonnen hätten. Nicht mehr denn 500 Meter weiter westlich mußte ihre Niederlassung sein, die unter dem Kaiser Karl den Namen Kaiserhof erhielt und bis zu Gegendwart in der Überlieferung führte, ohne jemals die Bedeutung zu erlangen, die solche Höfe wohl vielfach erreichten. Dieser Kaiserhof lag in der Mitte der Westrich in einem Knotenpunkt von Wegen. Leider wurde der Hof vor 40 Jahren parzelliert, da der letzte Erbe damals ohne Nachkommen starb. Der Name des Besitzers war Hörnemann. 1543 beurkundet Wessel ten Slaede, Freigraf des Johann von Raesfeld, über einen vor seinem Freistuhle getätigten Verkauf des im Kirchspiel Erle gelegenen Erbes „die Huerue“ an Hermann ther Hueren (Siehe Dr. Weskamp, Geschichte des Dorfes Erle und seiner Eiche.) Karl Rübel bezeichnet in seinen Beiträgen zur Geschichte Dortmunds Band X S.102 hurlant als Königsland!! Es handelt sich hier in Erle um ein Besitztum, welches diesseits des Baches lag und heute noch besteht, während der Kaiserhof jenseits des Baches im clevischen Overbeck zu suchen ist. (In der Mythologie treffen wir auch den Namen „Hönir“. Hreidmar verlangte von den Göttern Odin, Loki und Hönir Sühne für seinen 3. Sohn, der von den Göttern bei einer Erdenwanderung als Otter erschlagen worden war. (Siegfriedsage!) Die Herren von Erle nannten sich auch „von Ichorne“. Erste urkundliche Erwähnung 1250, erloschen nach 1400. Im Wappen sie einen Schrägerechtsbalken mit drei sitzenden Eichhörnchen. (Siehe Dr. Glasmeier Heimatkalender der Herrlichkeit 1927.) 1360 am 25. Februar erschienen die Gebrüder Arnold und Gerryt van Erle bei einer Freigerichtsverhandlung in Bocholt vor dem Richter Heckink. (Münsterland März 1920). Ob die Namen Hörnemann, Hueren und Ichorn miteinander in Verbindung stehen, mag die Geschichtsforschung darlegen. Waren die Herren Ritter von Ichorn diejenigen, die von Karl d. Gr. den Kaiserhof bekamen?

Außer den Gräbern mit reicher Ausstattung gibt es auch solche, die keine Beigaben enthalten und nach der Zeit von 786 angelegt zu sein scheinen. Diese könnte man in die karolingische Zeit datieren. Der sogenannte Kaiserhof hatte die Zehnten von den Höfen: zu Westrich, Lindenhöwe, ther Hörne und Lütte-Wissing zu empfangen, Dieriks hatte alljährlich ein Rad unbeschlagen bis auf den Hof zu liefern.

Die Umgebung des Kaiserhofes macht eine selbstständige, unabhängige Siedelung wahrscheinlich. Nördlich von ihm lag und liegt noch heute eine Häusergruppe, die man das Gaddendarp nennt. Es gehören dazu die uralten Besitzungen, die noch heute Linneweber, Lütten (Luyten) und Jütten genannt werden. Südlich hinter der Elsenwiese lag als Nachbar der so notwendige Pottbäcker. Bei Grabungen sind dort uralte Scherben zu Tage gekommen; Scherben, die von Gefäßen mit Wellenränder herrühren. Köenen datiert dieses in seiner Gefäßkunde in die Zeit von Karl d. Gr. bis ins Mittelalter. Während der Kaiserhof schon jenseits des Grenzbachs lag, stand diesseits unmittelbar der zehntpflichtige Lindenhof. Etwas weiter östlich lag der erste Schmied von Erle „Raman“. Vom Gaddendarp weiter nördlich liegt das Gräberfeld auf dem Hofe Nienhaus-Krampe und noch einige hundert Meter weiter das Bauerngut Luchmann. Hier war die notwendige Mühle. Es ist eine Wassermühle gewesen, dies das Wasser des kleinen Grenzbaches und das Sammelwasser im Barkendal als Kraft benutzte. Der Name dieses Hofes steht in den ältesten Urkunden als Lochumb (Besitzung um das Loch-Barkendal.) Dann schreibt man Lochtmann und zuletzt Lucht- und Luchmann. Damit wäre das Gebiet des sogen. Kaiserhofes nach Norden und Süden abgeschlossen. Zu dem östlich liegenden Aßkampshof führt ein breiter, tief ausgefahrener Hauptweg. Dieser Hauptweg geht direkt auf den Hof und das Haus. Am Hofe teilt er sich in zwei schmalere Wege. Der nördliche führt in mehreren Windungen um den Hof nach der Holzheide und Östrich. Die Ackerbreiten hießen hier „Vor Askamp“ und „Am Hagedorn“. Diese letzte Benennung sagt uns, daß das Feld dort durch eine Dornhecke gegen Einbruch geschützt gewesen ist. Reste dieser Hecke sind noch zu finden. Nördlich von Aßkamps-Hof heißen die Ackerstücke Pollguaden und das Hägerfeld. Der Name Pollguaden heißt Garten an den Pfählen. Dort mußte also eine Sicherung durch Pfähle geschaffen sein. Das Hägerfeld mußte nach seinem Namen auch eingehegt und geschützt sein. So geben uns die Flurnamen die östliche, gegen die Sachsen geschützte Grenze mit ihren Namen Hagedorn, Pollguaden und Hägerfeld ziemlich genau an. Der erste und alleinige Zweck des etwa 350 Meter langen und 15 Meter breiten Hauptweges war, die beiden Hofanlangen zu verbinden. Es ist dies auch ein Beweis, daß die Merowinger sich mit dem Aßkamps-Hof befreundet haben, wie ich anfangs schon bemerkte, andernfalls hätte man sich durch Wallhecken- und Hagedornanlagen getrennt. Ein breiter Weg ließ rasch die Verteidigung herankommen. Nach Osten schützte man sich durch feste Grenzen, die in der Hauptsache von Aßkamps-Hof gebildet wurden. Es schein so, als sei er ein Vorwerk des sogen. Kaiserhofes gewesen.

Der Sache nach hielt in den Eichenbäumen des Aßkamps-Hofes eine Eule mit großen, glühenden Augen in den dunkelen Nächten Wache. Der Hauptweg von der Hexenkuhle bis Aßkamps wird von einem großen, schwarzen Hunde immerfort des Nachts bewacht. Dieses unheimliche Tier geht mit rasselnder Kette mitternächtlich hin und her und manche sollen sich vor ihm zur Flucht gewandt haben.

Geht man von Aßkamp nach der Westrich, so hat man zu rechten Hand zunächst den Widkamp (bewohnt von Herm. Kuhlmann). Dann kommt der alte, schöne Stegerhoff mit seiner herrlichen Hofeinfassung und seinen schönen Buchen- und Eichenbäumen. Er wird mit den ersten Siedelungen dort entstanden sein. Vielleicht stand dieser Hof in besonderer Beziehung zum Kaiserhof. Wie Karl Rübel in „Beiträge zu Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark“ Band X Seite 104, ausführte, gehörte zum „Keyserhus die Einrichtung des urkundlich völlig gesicherten Stegersrepeshov, den im 14. Jahrhundert die Reichsschultheißen, die Wickedes, inne hatten.“

Die Begrenzung unseres Gebietes nach Westen hin, also nach dem Rheine zu, war ganz anders. Dort lagen nur Wälder: Der Pöppelberg, die Sielhorst, das Sunnan (auch Karl Rübel spricht von „Sundern“ und Königssundern bei den Kaiserhöfen der Mark), das Laer, das Barkendal und dahinter der große Königliche und Weselerwald. Etwa 2 Klm. westlich von der Westrich an dem Hauptwege nach Wesel liegt eine Siedelung in Form eines Bauernhofes, die man gewöhnlich im Volke mit „Bannefeld“ bezeichnet, obschon die Genealogie des Besitzers diesen Namen nicht Nachweist. Es muß daher geschlossen werden, daß der Name „Bannefeld“ dort an dem Besitz, an Grund und Boden haftet, daß in dieser Gegend Gerechtsame und Freiheiten, die anderswo ausgeübt und in Anspruch genommen werden konnten, hier auf dem Bannefeld aber gebannt, d.h. außer Kraft gesetzt waren. Man denkt hier unwillkürlich an die von den Römern angelegte Ödzone.

Haben in der Westrich die Franken und in der Östrich die Sachsen sich einmal gegenüber gestanden, so muß man noch heute Unterschiede in der Bevölkerung bemerken, die damals eine so verschiedene Kultur hatte, wenngleich auch seit dem 6. und 7. Jahrhundert vieles verwischt und ausgeglichen ist. (Der im Grab Nr. 11 gefundene Goldsolidus stammt aus der Regierungszeit des Kaisers Anastasius 491-518 und der im Grabe Nr. 18 gefundene Goldkriems aus dem 7. Jahrhundert berechtigen mich zu dieser Zeitbestimmung.) Augenfällige Unterschiede zwischen Westrich und Östrich sind auch heute noch da. Die Westrich feiert ihre Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnisse in größeren Ausmaßen. Auch die kirchliche Einstellung ist hüben und drüben verschieden. Eheliche Verbindungen zwischen Westrich und Östrich sind nicht gerade häufig. Ich könnte noch manche Unterschiede nennen, muß aber darauf verzichten. Ein Urteil über die Verteilung der Rund- und Langschädel könnte etwa der Schularzt sich erarbeiten. Von besonderer Bedeutung aber ist es, daß zwischen Östrich und Westrich eine Sprachscheide liegt. Der Dialekt in der Westrich ist verschieden von dem der Östrich. Dies ist auch bereits wissenschaftlich festgestellt und festgelegt. Dr. Wilhelm Peßler hat in seinem wertvollen Werke „Der niedersächsische Kulturkreis“ Seite 68 eine Karte eingefügt: „Niedersachsentum, sein Kulturkreis und Kernland“. (Siehe Teilbild!) Eine dicke punktierte Linie zeigt die Grenze der niedersächsischen Mundarten. Sie verläuft am rechten Rheinufer ziemlich gleichmäßig auf der Strecke Elberfeld-Utrecht. Oestlich von Wesel ist diese Grenze aber nach Osten eingebuchtet, hier müssen die Franken das Niedersachsentum zurückgedrängt haben. Gerade diese Bucht trifft unserer Westrich. Gibt diese Festlegung von Bremer nicht auch zu denken? Während die Sachsen einen hellen Menschentypus darstellten, waren die Franken dunkel. Die Line von kleinen Streifen zeigt uns die nördliche Grenze der Bevölkerung mit über 10 Prozent des braunen Menschentypus (nach Ranke), ein Gebiet, das in der Färbung noch Frankenblut verrät. Dieses Gebiet geht bis an die hohe Mark. (Siehe Heimatkalender 1923: Funde auf der Beck, Lembeck von Herrn Rogge.) Durch die wertvolle Karte von Dr. Peßler wird manche Vermutung schon unterstrichen.

Schwer wird es der Geschichtsforschung werden, die Frage nach dem Woher? unseres Frankenfriedhofs zu lösen. Weit, weit in einer urkundenarmen Zeit liegt die Geschichte zurück, die uns von den Gräbern dokumentiert wird. „Nur ein zugleich historisch geschulter und vorsichtig vergleichender Sinn kann hier den Weg zu den älteren Verhältnissen zurückfinden. Der Lokalforschung und schließlich der zusammenfassenden Beobachtung bleibt noch ein großes Arbeitsfeld übrig.“ (Henning in der Zeitschrift für deutsche Altertumskunde 43, 225.) In diesem Sinne habe ich vorstehende Gedanken niedergeschrieben, in diesem Sinne mögen sie aufgefaßt werden und der weiteren Forschung dienen.

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Dieser Text wird mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des Urheberrechts als frei zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt werden dürfe. Alle Rechte liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich Lammersmann.