Die
merowingisch-fränkischen Gräber zu Erle - Bausteine zu ihrer Geschichte
von Hauptlehrer Heinrich Lammersmann 1927
X
Um die Zeit
der Geburt Christi waren die Römer unsere westlichen Nachbarn jenseits des
Niederrheines. Sie hatten bei Xanten ihre festen Lager Castra Trajana und
Castra Vetera. Letzteres lag auf dem Fürstenberge und jenes in der Gegend des
jetzigen Clever-Tores. Nach Tacitus umgaben sich die Römer mit einer Ödzone
in der Breite von einer Tagesreise – etwa 20 klm. Unter „Ödzone“
verstand man nicht ein Gebiet ohne Vegetation, sondern nur ein Gebiet, in dem
die Römer keine Siedelungen, keine fremden Einwanderungen oder Nutznießungen
duldeten. Auf diese Art und Weise heilten sie die germanischen Stämme in
genügender Entfernung und waren vor Beunruhigungen gesichert, andererseits
sicherten sie sich ein hinlänglich großes Gebiet für ihre Viehherden und
ihren Ackerbau. Die gewaltigen Wälder mit dem zahlreichen Wilde gaben ihnen
Gelegenheit zur Ausübung der Jagd. Diese Jagd war nun eine angenehme
Abwechselung im Lagerleben, steuerte zum Lebensunterhalte bei und diente auch
gleichzeitig der Überwachung der Ödzone. Die Ödzone wird bis Erle gereicht
haben. Die Entfernung von Erle nach Xanten (20 klm) ist seit alter Zeit immer
als eine Tagesreise aufgefaßt. (Die Wallfahrt nach Kevelaer ging zu Fuß am
1. Tage bis Xanten.)
Der Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.) sicherte die Grenzen, nachdem er Rache bei
Idistavisus genommen, durch diplomatische Benutzung der Stammesfehden. Die
Sugamberer zwischen Lippe und Sieg wurden schon als Hauptfeinde Roms 12 v.
Chr. von Drusus geschlagen. Im Jahre 8 v. Chr. verschickte Tiberius diesen
kräftigen germanischen Volksstamm nach dem linksrheinischen Gebiet zwischen
Maas- und Rheinmündung. Jedenfalls schien den Römern dieser Volksstamm trotz
der Niederlage noch gefährlich, so daß sie ihn von den anderen germanischen
Stämmen trennten und in der „Meeruve“ (am Meeresufer) isolierten. Es ist
mit Bestimmtheit anzunehmen, daß die Römer die kampffähigen und
kampffreudigen Sugamberer in ihre Legionen preßten als Hilfsvölker gegen die
Germanen. So erlernten die Verschickten die römischen Waffen zu gebrauchen
und die römische Kriegsführung kennen. Die römische Staatsverfassung mit
der glänzenden Kaiserkrone mochte für sie Vorbild werden. Nach ihrem
Wohnorte nannten sie sich nunmehr „Merowinger“. Sie werden sich jedenfalls
mit den dortigen Bewohnern, die salische Franken waren, vermischt haben. Als
nun die Römer den Niederrhein räumten, da haben sie nach aller
Wahrscheinlichkeit, das Erbe derselben angetreten. Schon bald hören wir die
Einsetzung eines Königs. Als im Jahre 448 Chlodio starb, da wurde sein Sohn
Meruwech der erste König. Ihm folgte Childerich. Dieser starb 481.
Childerichs Sohn war Chlodwig. Mit Chlodwig treten die Merowinger in das helle
Licht der Geschichte. Es war noch Heide und hatte eine Ripuarerin, Chlothilde,
zur Gemahlin, die bereits Christin war. Chlodwig dehnte seine Herrschaft über
alle Franken aus. Dies wäre ihm nicht möglich gewesen, wenn er nicht den
ganzen Niederrhein (mit der von den Römern angelegten Ödzone) vollständig
in seiner Hand gehabt hätte. Seine nordöstlichen Nachbarn, die Sachsen,
waren eben immer zu Raubzügen und Einfällen bereit. Chlodwig ließ sich vom
Bischof Remigius zu Reims taufen. Seine Nachfolger überließen als Weichlinge
die Sorgen der Regierung ihren Hausmeiern, von denen Karl Martell und Pipin
der Kurze besonders hervorzuheben sind. Schon unter den Merowingern begann die
Bekehrung der Sachsen und die Feindschaft zwischen ihnen und den Franken
setzte ein. Chlodwig verteilte sein Reich unter seine vier Söhne. Sein
jüngster Sohn Chlotar IU. vereinigte noch einmal das Frankenreich im Jahre
588. Er kämpfte schon siegreich gegen die Sachsen und legte ihnen einen
Tribut von jährlich 500 Kühen auf. Auch Paulus Diakonus, Schriftsteller der
Longobarden, berichtet, daß im Jahr 605 zwischen Franken und Sachsen ein
Kampf stattgefunden habe und daß auf beiden Seiten ein großes Blutbad
angerichtet worden sei. Um 690 kämpften die Sachsen gegen die zum Christentum
übergetretenen Bruckterer und vertrieben sie aus ihren Wohnsitzen nördlich
der Lippe. Nach Einhards Berichten setzte Karl Martell bei der Lippemündung
über den Rhein und verwüstete den größten Teil des rauhen Landstrichs.
Auch Pipin der Kurze besiegte als major domus die Sachsen 747. Diese
versprachen, den Zins von jährlich 500 Kühen (wie bei Chlotar I.) wieder zu
entrichten. Als sich Pipin 751 selbst zum Könige gemacht hatte, brachen sie
das Versprechen. Pipin setzte 753 über den Rhein und besiegte sie abermals.
Nun gelobten die Sachsen, jährlich 300 Rosse zu liefern. Viele Männer und
Frauen der Sachsen führte er gefangen fort. Fünf Jahre später (also 758)
besiegte Pipin sie nochmals, obwohl sie tapfer Widerstand leisteten und ihre
Schutzwehren verteidigten. Nach einer gewonnenen Schlacht rückte er durch den
nämlichen Wall ein, durch welchen sie ihr Vaterland hatten schützen wollen.
So erzählt Einhard. Die Sachsen hatte also ihr Land durch Wälle –
Landwehren – geschützt. Die Merowinger hatten ihre Grenzen gegen die
Sachsen durch Besatzungen an geeigneten Plätzen gedeckt. Einhard schreibt:
„Die Grenze zwischen uns und den Sachsen zog sich
fast durchaus ohne trennenden Zwischenraum in der Ebene hin, mit Ausnahme
weniger Stellen, wo größere Waldungen, dazwischen liegende Bergrücken eine
scharfe Grenzlinie bildeten; so wollten Totschlag, Raub und Brandstiftungen
auf beiden Seiten kein Ende nehmen“.
Zur Zeit Karls des Großen lag an der Lippemündung eine Siedelung, Lippemund
oder auch Lippeham genannt. Die Lippemündung lag aber damals unterhalb Wesel
und näher bei Xanten. Nach Einhards Jahrbüchern ist Karl dort während der
Sachsenkriege viermal über den Rhein gegangen, um in das Sachsenland
einzufallen. 779 hielt Karl in Düren einen Reichstag ab, setzte bei Lippeham
über den Rhein und schlug die Sachsen bei dem Orte Buocholt. (Es ist nicht
sicher, daß mit Buocholt die Stadt Bocholt gemeint ist.) Zum zweiten Male
ging Karl von Gallien aus 784 bei Lippeham über den Rhein uns zog bis zur
Weser, wo er bei Hukülbi=Hakelewe – jetzt Petershagen – ein Lager bezog.
Zwei Jahre später wurde auf dem Reichstage zu Paderborn die Totenverbrennung
bei Todesstrafe verboten. Zum dritten Male kam Karl 794 nach Lippeham, hielt
daselbst einen Reichstag ab und zog weiter nach Padrabrunna. Bei dieser
Gelegenheit empfing er auch den Papst in Lippeham. Zuletzt war der Kaiser 810
in Lippeham und erwartete die noch nicht eingetroffenen Truppen zu einem Zuge
gegen die Normannen.
Römer, Merowinger und Franken hatten also ihr Einfallstor in das Sachsenland
bei Lippeham zwischen Wesel und Xanten. Nicht unerwähnt lassen will ich, was
schon der Amtmann Brunn vor rund 100 Jahren in die Chronik seines
Verwaltungsbezirkes eintrug. Es heißt dort: „Es
wurde schon mehr als wahrscheinlich, daß die Römer bei ihren Zügen auf
Liesborn und Xanten nur ihren Weg an dem Ufer der Lippe hinaufnehmen konnten,
welches, wie die Erfahrung zeigt, fester als die übrige Gegend war (?), also
auf Schermbeck, Hervest, Lippramsdorf usw., wenn wir nicht aus den
Untersuchungen des Majors Schmidt über diesen Punkt schon mehr hätten.
(Haltern – Annaberg!) Die Geschichte lehrt ferner, daß sich diesseits des
Rheins mutmaßlich der cäcinische Wald erstreckte und an dem Rhein die leeren
Aecker lagen, welche die Römer sich zum Vorteil ihrer Reuterei vorbehalten
hatten. Zu Julius Cäsars Zeiten hatten die Merowinger diese in Besitz, wurden
aber von den Tenktern und Usipiern vertrieben. Nach dieser Zeit haben viele
deutsche Stämme diese Felder besetzt, sie mußten jedoch bei übernehmender
Gewalt der Römer wieder flüchtig werden. Als später die Franken immer mehr
in das römische Gelände eingedrungen waren, sich daselbst festgesetzt hatten
und das Christentum angenommen hatten, sanken sie (die deutschen Stämme) aber
dadurch in dem Ansehen mit den ihnen befreundeten deutschen Völkerstämmen.“
Aus all den vorgetragenen geschichtlichen Vorgängen geht klar hervor, daß
die Herrlichkeit und besonders die Gemeinden Erle und Schermbeck den vielen
Einfällen und Kämpfen ausgesetzt waren. Andererseits werden die Römer,
Merowinger und Franken ihren Rheinübergang bei Lippeham am Niederrhein auch
durch einen genügend großen Brückenkopf geschützt haben, um die Vorstöße
und Rückzüge ihrer Heere sicherzustellen. Welcher Art diese Sicherung war,
erzählt ja schon Einhard.
Eine solche Befestigung der äußersten Grenze gegen die Sachsen war auch in
Erle schon in der Zeit der Merowinger. Hier wurde ein Friedhof aus
merowingischer Zeit aufgefunden. Merowingisch sind die Gräber: Nach dem
Gebrauche der damaligen Zeit hat man den Toten Waffen, Schmuck und Gefäße
mit ins Grab gegeben. Sind auch die Leichen vollständig aufgelöst, so sind
die Beigaben doch unwiderlegbare Zeugen ihrer Zeit. Obschon die
Nachforschungen noch nicht abgeschlossen sind, so kann man die Zahl der
Gräber heute schon auf 40 bis 50 schätzen. Leider sind im Laufe der
Jahrhunderte manche Schätze zu dem alten Eisen gekommen. 24 Gräber sind
behutsam geöffnet, und ihre Beigaben sind geborgen. Daß wir es hier mit
merowingischen Frauen- und Männergräbern zu tun haben, bezweifelt niemand.
Wie aber kommen diese hierher? Waren es etwa Opfer einer Schlacht? Ich glaube
es kaum. In der Regel geht es nach einer Schlacht nicht so ordnungsmäßig
her. Die Anordnung der Beigaben zeigt überall Überlegung und Ruhe, niemals
fanden wir ein wildes Durcheinander. Wozu sollten die Krieger die
merowingisch-fränkischen Geschirre mitschleppen, die doch so zerbrechlich
waren? Dann zeigt die Zahl der Frauengräber, die ungefähr die Hälfte aller
Gräber ausmacht, daß wir es nicht mit den Opfern einer Schlacht zu tun
haben, sondern die Begräbnisstätte einer Station oder Siedelung aufdeckten.
Reich sind die Gräber an Schmuck, an Schmuck von hohem Wert: Gold und
Kupfermünzen, kostbare Almandinen mit Gold unterlegt, silberne Verzierungen
und Filigranarbeiten sind den Toten beigegeben. Die Kriegergräber bergen die
gesamte Ausrüstung, die einen hohen Wert zur damaligen Zeit ausmachte. Wenn
nicht eine Station oder Siedelung in der Nähe gewesen wäre, so hätte man
durch diese kostbare Ausstattung den Feind ja nur gereizt, die Gräber zu
plündern. Haben die Germanen doch auch nach der Varusschlacht den Grabhügel
zerstört. Sind sie nicht um den ganzen Erfolg der Varusschlacht gekommen,
gerade wegen ihrer Sucht, Beute zu machen? Hatten die Sachsen auch die
höchste Erfurcht vor den Grabhügeln ihrer Stammesgenossen, so ließen sie
gegenüber ihren Feinden doch Haß und Rachsucht gelten. Diese wußten auch
die Römer, Merowinger und Franken. Wir dürfen also annehmen, daß die
Begräbnisstätte auf Nienhaus-Krampe in Erle unter ihrer Aufsicht blieb und
die Besatzung in der Nähe liegen mußte.
Etwa 2 ½ Klm. östlich von Nienhaus liegen die Hügelgräber der Sachsenhöfe
in der Östrich. (S. Kalender 1926 Ursiedelung von Erle.) In der Westrich ist
noch kein Hügelgrab sächsischer Art gefunden. Nach dem Namen zu urteilen,
ist der westlichste Sachsenhof der Hof Askamp. Er war der einzigste Hof in
Erle, der nach Xanten abgabepflichtig war. (Zeitschr. der Vereine für Orts-
und Heimatkunde im Veste und Kreise Recklinghausen. Jahrg. 1898. 8. Band:
Seite 33: 354 domus to erler assenkamp hatte an das Xantener Capt. zu zahlen
jährlich 2 Schill.) Es scheint fast, als ob die Merowinger den Besitzer
dieses Hofes für ihre Zwecke (mit Liebe oder Macht?) gewonnen hätten. Nicht
mehr denn 500 Meter weiter westlich mußte ihre Niederlassung sein, die unter
dem Kaiser Karl den Namen Kaiserhof erhielt und bis zu Gegendwart in der
Überlieferung führte, ohne jemals die Bedeutung zu erlangen, die solche
Höfe wohl vielfach erreichten. Dieser Kaiserhof lag in der Mitte der Westrich
in einem Knotenpunkt von Wegen. Leider wurde der Hof vor 40 Jahren
parzelliert, da der letzte Erbe damals ohne Nachkommen starb. Der Name des
Besitzers war Hörnemann. 1543 beurkundet Wessel ten Slaede, Freigraf des
Johann von Raesfeld, über einen vor seinem Freistuhle getätigten Verkauf des
im Kirchspiel Erle gelegenen Erbes „die Huerue“ an Hermann ther Hueren
(Siehe Dr. Weskamp, Geschichte des Dorfes Erle und seiner Eiche.) Karl Rübel
bezeichnet in seinen Beiträgen zur Geschichte Dortmunds Band X S.102 hurlant
als Königsland!! Es handelt sich hier in Erle um ein Besitztum, welches
diesseits des Baches lag und heute noch besteht, während der Kaiserhof
jenseits des Baches im clevischen Overbeck zu suchen ist. (In der Mythologie
treffen wir auch den Namen „Hönir“. Hreidmar verlangte von den Göttern
Odin, Loki und Hönir Sühne für seinen 3. Sohn, der von den Göttern bei
einer Erdenwanderung als Otter erschlagen worden war. (Siegfriedsage!) Die
Herren von Erle nannten sich auch „von Ichorne“. Erste urkundliche
Erwähnung 1250, erloschen nach 1400. Im Wappen sie einen Schrägerechtsbalken
mit drei sitzenden Eichhörnchen. (Siehe Dr. Glasmeier Heimatkalender der
Herrlichkeit 1927.) 1360 am 25. Februar erschienen die Gebrüder Arnold und
Gerryt van Erle bei einer Freigerichtsverhandlung in Bocholt vor dem Richter
Heckink. (Münsterland März 1920). Ob die Namen Hörnemann, Hueren und Ichorn
miteinander in Verbindung stehen, mag die Geschichtsforschung darlegen. Waren
die Herren Ritter von Ichorn diejenigen, die von Karl d. Gr. den Kaiserhof
bekamen?
Außer den Gräbern mit reicher Ausstattung gibt es auch solche, die keine
Beigaben enthalten und nach der Zeit von 786 angelegt zu sein scheinen. Diese
könnte man in die karolingische Zeit datieren. Der sogenannte Kaiserhof hatte
die Zehnten von den Höfen: zu Westrich, Lindenhöwe, ther Hörne und
Lütte-Wissing zu empfangen, Dieriks hatte alljährlich ein Rad unbeschlagen
bis auf den Hof zu liefern.
Die Umgebung des Kaiserhofes macht eine selbstständige, unabhängige
Siedelung wahrscheinlich. Nördlich von ihm lag und liegt noch heute eine
Häusergruppe, die man das Gaddendarp nennt. Es gehören dazu die uralten
Besitzungen, die noch heute Linneweber, Lütten (Luyten) und Jütten genannt
werden. Südlich hinter der Elsenwiese lag als Nachbar der so notwendige
Pottbäcker. Bei Grabungen sind dort uralte Scherben zu Tage gekommen;
Scherben, die von Gefäßen mit Wellenränder herrühren. Köenen datiert
dieses in seiner Gefäßkunde in die Zeit von Karl d. Gr. bis ins Mittelalter.
Während der Kaiserhof schon jenseits des Grenzbachs lag, stand diesseits
unmittelbar der zehntpflichtige Lindenhof. Etwas weiter östlich lag der erste
Schmied von Erle „Raman“. Vom Gaddendarp weiter nördlich liegt das
Gräberfeld auf dem Hofe Nienhaus-Krampe und noch einige hundert Meter weiter
das Bauerngut Luchmann. Hier war die notwendige Mühle. Es ist eine
Wassermühle gewesen, dies das Wasser des kleinen Grenzbaches und das
Sammelwasser im Barkendal als Kraft benutzte. Der Name dieses Hofes steht in
den ältesten Urkunden als Lochumb (Besitzung um das Loch-Barkendal.) Dann
schreibt man Lochtmann und zuletzt Lucht- und Luchmann. Damit wäre das Gebiet
des sogen. Kaiserhofes nach Norden und Süden abgeschlossen. Zu dem östlich
liegenden Aßkampshof führt ein breiter, tief ausgefahrener Hauptweg. Dieser
Hauptweg geht direkt auf den Hof und das Haus. Am Hofe teilt er sich in zwei
schmalere Wege. Der nördliche führt in mehreren Windungen um den Hof nach
der Holzheide und Östrich. Die Ackerbreiten hießen hier „Vor Askamp“ und
„Am Hagedorn“. Diese letzte Benennung sagt uns, daß das Feld dort durch
eine Dornhecke gegen Einbruch geschützt gewesen ist. Reste dieser Hecke sind
noch zu finden. Nördlich von Aßkamps-Hof heißen die Ackerstücke Pollguaden
und das Hägerfeld. Der Name Pollguaden heißt Garten an den Pfählen. Dort
mußte also eine Sicherung durch Pfähle geschaffen sein. Das Hägerfeld
mußte nach seinem Namen auch eingehegt und geschützt sein. So geben uns die
Flurnamen die östliche, gegen die Sachsen geschützte Grenze mit ihren Namen
Hagedorn, Pollguaden und Hägerfeld ziemlich genau an. Der erste und alleinige
Zweck des etwa 350 Meter langen und 15 Meter breiten Hauptweges war, die
beiden Hofanlangen zu verbinden. Es ist dies auch ein Beweis, daß die
Merowinger sich mit dem Aßkamps-Hof befreundet haben, wie ich anfangs schon
bemerkte, andernfalls hätte man sich durch Wallhecken- und Hagedornanlagen
getrennt. Ein breiter Weg ließ rasch die Verteidigung herankommen. Nach Osten
schützte man sich durch feste Grenzen, die in der Hauptsache von Aßkamps-Hof
gebildet wurden. Es schein so, als sei er ein Vorwerk des sogen. Kaiserhofes
gewesen.
Der Sache nach hielt in den Eichenbäumen des Aßkamps-Hofes eine Eule mit
großen, glühenden Augen in den dunkelen Nächten Wache. Der Hauptweg von der
Hexenkuhle bis Aßkamps wird von einem großen, schwarzen Hunde immerfort des
Nachts bewacht. Dieses unheimliche Tier geht mit rasselnder Kette
mitternächtlich hin und her und manche sollen sich vor ihm zur Flucht gewandt
haben.
Geht man von Aßkamp nach der Westrich, so hat man zu rechten Hand zunächst
den Widkamp (bewohnt von Herm. Kuhlmann). Dann kommt der alte, schöne
Stegerhoff mit seiner herrlichen Hofeinfassung und seinen schönen Buchen- und
Eichenbäumen. Er wird mit den ersten Siedelungen dort entstanden sein.
Vielleicht stand dieser Hof in besonderer Beziehung zum Kaiserhof. Wie Karl
Rübel in „Beiträge zu Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark“ Band
X Seite 104, ausführte, gehörte zum „Keyserhus die Einrichtung des
urkundlich völlig gesicherten Stegersrepeshov, den im 14. Jahrhundert die
Reichsschultheißen, die Wickedes, inne hatten.“
Die Begrenzung unseres Gebietes nach Westen hin, also nach dem Rheine zu, war
ganz anders. Dort lagen nur Wälder: Der Pöppelberg, die Sielhorst, das
Sunnan (auch Karl Rübel spricht von „Sundern“ und Königssundern bei den
Kaiserhöfen der Mark), das Laer, das Barkendal und dahinter der große
Königliche und Weselerwald. Etwa 2 Klm. westlich von der Westrich an dem
Hauptwege nach Wesel liegt eine Siedelung in Form eines Bauernhofes, die man
gewöhnlich im Volke mit „Bannefeld“ bezeichnet, obschon die Genealogie
des Besitzers diesen Namen nicht Nachweist. Es muß daher geschlossen werden,
daß der Name „Bannefeld“ dort an dem Besitz, an Grund und Boden haftet,
daß in dieser Gegend Gerechtsame und Freiheiten, die anderswo ausgeübt und
in Anspruch genommen werden konnten, hier auf dem Bannefeld aber gebannt, d.h.
außer Kraft gesetzt waren. Man denkt hier unwillkürlich an die von den
Römern angelegte Ödzone.
Haben in der Westrich die Franken und in der Östrich die Sachsen sich einmal
gegenüber gestanden, so muß man noch heute Unterschiede in der Bevölkerung
bemerken, die damals eine so verschiedene Kultur hatte, wenngleich auch seit
dem 6. und 7. Jahrhundert vieles verwischt und ausgeglichen ist. (Der im Grab
Nr. 11 gefundene Goldsolidus stammt aus der Regierungszeit des Kaisers
Anastasius 491-518 und der im Grabe Nr. 18 gefundene Goldkriems aus dem 7.
Jahrhundert berechtigen mich zu dieser Zeitbestimmung.) Augenfällige
Unterschiede zwischen Westrich und Östrich sind auch heute noch da. Die
Westrich feiert ihre Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnisse in größeren
Ausmaßen. Auch die kirchliche Einstellung ist hüben und drüben verschieden.
Eheliche Verbindungen zwischen Westrich und Östrich sind nicht gerade
häufig. Ich könnte noch manche Unterschiede nennen, muß aber darauf
verzichten. Ein Urteil über die Verteilung der Rund- und Langschädel könnte
etwa der Schularzt sich erarbeiten. Von besonderer Bedeutung aber ist es, daß
zwischen Östrich und Westrich eine Sprachscheide liegt. Der Dialekt in der
Westrich ist verschieden von dem der Östrich. Dies ist auch bereits
wissenschaftlich festgestellt und festgelegt. Dr. Wilhelm Peßler hat in
seinem wertvollen Werke „Der niedersächsische Kulturkreis“ Seite 68 eine
Karte eingefügt: „Niedersachsentum, sein Kulturkreis und Kernland“.
(Siehe Teilbild!) Eine dicke punktierte Linie zeigt die Grenze der
niedersächsischen Mundarten. Sie verläuft am rechten Rheinufer ziemlich
gleichmäßig auf der Strecke Elberfeld-Utrecht. Oestlich von Wesel ist diese
Grenze aber nach Osten eingebuchtet, hier müssen die Franken das
Niedersachsentum zurückgedrängt haben. Gerade diese Bucht trifft unserer
Westrich. Gibt diese Festlegung von Bremer nicht auch zu denken? Während die
Sachsen einen hellen Menschentypus darstellten, waren die Franken dunkel. Die
Line von kleinen Streifen zeigt uns die nördliche Grenze der Bevölkerung mit
über 10 Prozent des braunen Menschentypus (nach Ranke), ein Gebiet, das in
der Färbung noch Frankenblut verrät. Dieses Gebiet geht bis an die hohe
Mark. (Siehe Heimatkalender 1923: Funde auf der Beck, Lembeck von Herrn Rogge.)
Durch die wertvolle Karte von Dr. Peßler wird manche Vermutung schon
unterstrichen.
Schwer wird es der Geschichtsforschung werden, die Frage nach dem Woher?
unseres Frankenfriedhofs zu lösen. Weit, weit in einer urkundenarmen Zeit
liegt die Geschichte zurück, die uns von den Gräbern dokumentiert wird. „Nur
ein zugleich historisch geschulter und vorsichtig vergleichender Sinn kann
hier den Weg zu den älteren Verhältnissen zurückfinden. Der Lokalforschung
und schließlich der zusammenfassenden Beobachtung bleibt noch ein großes
Arbeitsfeld übrig.“ (Henning in der Zeitschrift für deutsche
Altertumskunde 43, 225.) In diesem Sinne habe ich vorstehende Gedanken
niedergeschrieben, in diesem Sinne mögen sie aufgefaßt werden und der
weiteren Forschung dienen.
X
Dieser Text wird mit freundlicher
Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt. Das berechtigt
aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des Urheberrechts als frei
zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt werden dürfe. Alle Rechte
liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich Lammersmann.