Wilhelm Thies und sein Haus
von Hauptlehrer Heinrich Lammersmann 1931
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Nachfolgende Arbeit hat der verstorbene Hauptlehrer Lammersmann als seinen letzten Beitrag für den Heimatbund auf dem Sterbebette geschrieben. Der Tod nahm ihm die Feder aus der Hand.



Wer kennt den den alten Bienenonkel Willm Thies nicht? Auf dem Platze nordöstlich vom Dorfe Erle steht heute noch sein Geburts- und Wohnhaus. Idyllisch im Grün der Eichen und Obstbäume verdeckt, schaut die Häusergruppe mit den Firsten und Schornsteinen aus dem Laube hervor. Vom Dorfe aus ist Thies Haus das erste. Es tut sich auch sonst schon vor den anderen Häusern hervor. Es ist von den Jahren unberührt und unverändert geblieben. Der hohe Brettergiebel steht vor und reicht von den kleinen Fenstern bis an den First. Die Dachseiten gehen tief hinunter bis flach auf die Erde. Ueber die ganzen kleinen Fenster der Seiten gehen sie hinüber wie die Lider über die Augen. Es scheint, daß sie jeden unbefugten Blick verhindern wollen. Die großen Dachflächen sind mit alten erdfarbenen verwitterten Ziegeln gedeckt, die miteinander verwachsen und mit Moos verkittet scheinen. Nur hier und da, besonders in der Nähe des Giebels, sind Neulinge dazwischen geraten, die nicht, weder in Farbe noch in Form, zu den alten passen. Aus der östlichen Dachfläche reckt sich ein mächtiger viereckiger Schornstein bis über den First des Daches empor. Ob er noch unfertig ist, man sieht es nicht, denn die oberen Steinlagen verraten keinen Abschluß. Ihn, den langen, viereckigen Schornstein und den hölzernen Giebel mit vielen Löchern und Ritzen, sieht man vom Dorfe aus am besten und vollständigsten. Das andere verschwindet im Frühling unter Blütenwolken, im Sommer im Blätternest und im Winter in der Schneewolle. Versteckt hat man das Heim vor vielen Jahrhunderten, daß die bösen Geister, die unruhig über die Heeresstraße durchs Land zogen, es nicht finden sollten und, sonder Schaden zu tun, vorbeizogen. Vom Dorfe führten in direkter Richtung nur Fußpfade dorthin. Sie sind von den ersten Siedlern benutzt, um das Wasser aus dem Dorfpütt zu holen. Etwa 50 Meter vor dem Hause, wo der Hof beginnt, wird dieser Fußweg von zwei dichten Hecken eingefaßt. Man geht durch eine lange Laubgasse. Auch diese macht noch einen Bogen und endet beim Bienenschuer. Eine dichte Buchsbaumhecke schützt den Bienenstand gegen Wintersonne und Winterkälte, gegen Sturm und Regen und auch gegen unberufene Augen, denn auch diese sind für die Hausfront wie für den Bienenstand unerwünscht. Diese dichte Buchsbaummauer zieht sich vor der ganzen Front des Hauses hin und läßt nur eine schmale Gasse von 1 ½ Meter frei, die mit Findlingen gepflastert ist. Jenseits der Hecke und in der Hecke standen Obstbäume, deren Zweige von den Früchten bis auf die Hecke und gar bis auf den Boden gedrückt waren. Natürlich fehlte es nicht an Ausgucklöchern in der grünen Festung. Hier war der Ruheplatz, die Wachtstube und die Werkstatt des alten Willm Thies. Hier hielt der seine lehrreichen Vorträge. Während die Vorderseiten des Wohnhauses sich bescheiden hinter Buchs und Baum versteckten, lag die große eichene Endtür freier am Wege. Wie hätte auch sonst der Erntewagen, der Kistenwagen oder Totenwagen ein- oder abfahren können? Neben der etwas schiefen, eichenen Türe, sehen wir wie verkniffene Augen wieder kleine Fensterchen. Diese lassen nur wiederwillig eine kleine Dämmerung auf die Hille durch. Die Lehmwände haben sich überraschend durch die Jahrhunderte erhalten. Nur hier und dort kommt das Geflecht von Eichenholz zu Tage. Die Gefächer sind nicht immer winkelig. Man richtet sich eben nach dem schweren Rippenbalken. Links ist die Stalltür für die Schweine, rechts der Zugang zum Kuhstall. Seitlich vor der Endtüre liegt das Wasserloch. Das hier sich sammelnde Regenwasser genügte zur Tränke für den Viehtopf und zum sonstigen Gebrauch. Die Schlafstuben in der Abseite des Hauses sind auch äußerlich gut zu erkennen. Vor den kleinen Lugfensterchen war meistens ein Pfahl eingerammt, der oben zur Lüftung ein gewisses Gefäß trug, das die Nächte im Hause und die Tage unter der Truhe sich befand. So ist das kleine Heim des alten Willm Thies äußerlich. Niemals hätte er hier Eingriffe und Aenderungen geduldet.

Einst mußte von einem Balken ein faustgroßes Stück abgesägt werden. Willm hob das Stück auf und legte es auf das Richel (Busen). Wenn nun irgend jemand kam, holte er es als eine Merkwürdigkeit herunter. „Nu wick u doch et wat larten seihn, kiek es, hm, hm, hm.“ Man nahm das schwarze alte Stück Eichenholz in die Hand und suchte. Willm aber zeigte nichts und wartete auf das, was der Beschauer davon sagte. Auch ich bekam es in die Hand gedrückt und suchte nach Schrift oder Schnitzereien, aber fand nichts als ein Stück schwarzes hartes Eichenholz. Willms wasserblaue Augen sahen erwartungsvoll auf mich. Nachdem ich das Stück von allen Seiten beschaut hatte, sagte ich: Willm, wenn dat Stück vertellen könn, watt können wie dann alle hörn! Wuvölle Bauwagens un Koarn vull Korn sind an öm vörbieföhrt; wuvölle Hochtiedsdiske hett et seihn, wuvölle Brutwagens und Dodenwagens? Wu farken hebbt se mett de Fläggels drann schlagen! – Willm nickte erregt, der lange graue Bart wackelte, und langgezogen kam „Joah“ heraus. Dann zeigte er auf die Schnittfläche: „Gäwwt van Dage noch son Holt? Et is stärker es Iser“. Dabei strich er liebend mit der knochigen Hand über die Schnittfläche und legte es wieder auf das Richel. Dort wird es noch gelegen haben, als er starb. Welche Verbundenheit zwischen Haus und Bewohner. Es kam mir vor, als wärs ein Stück von ihm. – Die Bowendör (obere Tür) führte in die 2 ½ Gebund tiefe Küche. Der Boden war teils gestampfter Lehm, teils von Flußkieseln und Findlingen. Der offene Herd lag breit und behäbig  an der rechten Seite des Hauptwerks und sandte von dem breiten schwarzen rußigen Unterbau seinen Schornstein durch das Dach in die Höhe. Hinter dem Feuertopf war eine Backsteinmauer zum Schutze des Feuers. Dam





Hier endet die Handschrift Heinrich Lammersmanns….

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Dieser Text wird mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth und Julius Lammersmann hier gezeigt. Das berechtigt aber nicht zu der Annahme, das dieser im Sinne des Urheberrechts als frei zu betrachten sei und daher von jedermann benutzt werden dürfe. Alle Rechte liegen weiterhin bei den Erben von Heinrich Lammersmann.